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Schottland muss sich entscheiden

Das Weißbuch, in dem Schottlands Unabhängigkeit geplant wird, richtet sich nicht so sehr an diejenigen, die sich bereits entschieden haben, sondern soll vor allem jenen Mut machen, die Angst haben. Allerdings mangelt es den Argumenten an Überzeugungskraft und vor dem Referendum 2014 müssen noch schwierige Entscheidungen getroffen werden.

Veröffentlicht am 29 November 2013 um 12:50

Mit der Veröffentlichung des umfangreichen Weißbuches zur möglichen Unabhängigkeit hat die Regierung Schottlands versucht, jene kritischen Stimmungen zum Schweigen zu bringen, die behaupten, sie habe die Auswirkungen einer Abspaltung von Großbritannien nicht ausreichend durchdacht.

Zwar mögen dem 670-Seiten umfassenden Dokument ein paar herzzerreißende Braveheart-artige Passagen fehlen. Jedoch ist es nicht sein Sinn und Zweck, noch einen für diejenigen draufzusetzen, die ohnehin schon überzeugt wurden. Stattdessen hat der Parteivorsitzende der Schottischen Nationalpartei [und schottischer Ministerpräsident], Alex Salmond, eine detaillierte technokratische Abhandlung angefertigt, um denjenigen Mut zu machen, die sich Sorgen machen. Er will überzeugen und nicht die Loyalität jener prüfen, die sich bereits entschieden haben.

Egal wie das Referendum im kommenden September ausgehen wird, nördlich der Grenzen wird vieles beim Alten bleiben. In der nationalistischen Version wird Schottland den Monarchen und das [britische] Pfund behalten. Die Schwächen der steuerlichen Rahmenbedingungen des Landes würden aber unweigerlich dazu führen, dass seine neuen wirtschaftlichen Freiheiten nur noch beschränkt genutzt werden könnten. Allerdings hat das Herrn Salmond nicht davon abgehalten, sich ein paar steuerpolitische Leckereien für die Zeit nach der Unabhängigkeit auszudenken. So würden die Unternehmenssteuern gesenkt und das Versprechen eingehalten werden, zweijährige [drei- und vierjährige] Kinder kostenlos zu betreuen. Unbeliebte Maßnahmen würden [die Schotten] dagegen abschaffen, darunter die „Bedroom tax” [Kürzung der Wohnbeihilfe für zahlreiche Familien] und der von der [konservativen] Tory-Partei geforderte Steuerfreibetrag für verheiratete Paare.

Auf der Suche nach mehr Wachstum

Auch wenn die Financial Times nachdrücklich dafür ist, dass [Schottland] auch weiterhin zu [Großbritannien] gehört, sind wir dennoch bereit, zu akzeptieren, dass es Argumente für die Unabhängigkeit gibt – auch wenn diese durchaus fehlerhaft sind. Letzten Endes müssen die schottischen Wähler entscheiden, ob Holyrood [der Stadtteil Edinburghs, in dem sich das Schottische Parlament befindet] ihnen zu mehr Wachstum verhelfen kann als Großbritannien.

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Allerdings darf dabei nicht vergessen werden, dass schwere Entscheidungen getroffen werden müssen. [[Schottland kann nicht auf der einen Seite Handlungsfreiheit verlangen, auf der anderen Seite aber auch in Zukunft noch ein Trittbrettfahrerverhalten an den Tag legen, für das ganz Großbritannien aufkommen muss]].

Herr Salmond wurde für die Veröffentlichung [eines Dokuments] kritisiert, das eher einer Wunschliste gleicht, die unter dem Deckmantel eines Programms präsentiert wurde. Für den Fall, dass Schottland sich für die Unabhängigkeit entscheidet, müssen die genauen Bedingungen einer möglichen Abspaltung erst noch ausgehandelt werden. Und für viele der Entscheidungen, die im Rahmen dieses Programms getroffen werden müssen, wird sowohl die Zustimmung der Nicht-Schotten als auch der Schotten benötigt werden.

Umstrittene Währungsvereinbahrung

Die wahrscheinlich umstrittenste Forderung von Herrn Salmonds scheint die schottische Währungsvereinbarung zu sein, die nach der Unabhängigkeit greifen soll. Es ist keinesfalls verwerflich, dass Schottland das Pfund Sterling auch in Zukunft als seine Währung benutzen will. Allerdings runzelt man hier und da die Stirn, wenn man bedenkt, dass der Rest Großbritanniens mit seinen 58 Millionen Bewohnern einen einheitlichen Währungsraum schaffen müsste, um den fünf Millionen schottischen Bürgern entgegenzukommen. Ein solcher Schritt birgt das Risiko, dass sich das ereignet, was bereits mit dem Euro geschah: Ein heilloses Durcheinander in der Währungsunion, ohne dass es eine wirkliche Steuerunion gibt. Und dieser Präzedenzfall ist nicht gerade beruhigend.

Aus dem Weißpapier geht hervor, dass die Währungsunion [auch] die Interessen Großbritanniens vertritt, zumal sich seine Zahlungsbilanz verschlechtern könnte, wenn die schottischen Öleinnahmen von der Zahlungsbilanz des Sterling-Währungsgebiets ausgeschlossen würden. Allerdings ist diese These äußerst fragwürdig und klammert die möglichen Vorteile aus, die sich für Großbritannien aus einer schwächeren Währung ergeben könnten.

Einem weiteren nationalistischen Argument zufolge würde Schottland aufgrund seiner historischen Anteile am Vermögen der Zentralbank auch in Zukunft das Recht haben, sich in die Geschäfte der Bank of England einzumischen, wodurch es dem Rest Großbritanniens seinen Währungsraum aufzwingen könnte. Allerdings zeigt das, wie sehr das eigentliche Wesen einer möglichen Abspaltung Schottlands [von Großbritannien] missverstanden wurde. Schließlich müssten das Vermögen und die Schulden Großbritanniens voneinander getrennt werden. Und Herr Salmond ist bestrebt, diesen Prozess in gerade einmal 18 Monaten durchzusetzen. Während dies aber dazu führen könnte, dass Vermögenswerte und Ausgleichszahlungen auf Wegen übertragen werden, die [bisher] unmöglich waren, würde dies nicht zur Folge haben, dass die Institutionen in Zukunft dauerhaft überwacht werden könnten.

[[Großbritanniens Aufspaltung würde zahlreiche blaue Flecken nach sich ziehen]]. Die [Schottische Nationalpartei] SNP hat bereits angedeutet, dass sie einen Teil der britischen Staatsschulden nur dann übernehmen wird, wenn Westminster sich auf eine Währungszonen-Vereinbarung einlässt. Dabei ist dieses Vokabular keinesfalls jenes, das Politiker an den Tag legen, die an ihre eigene „Win-Win-Rhetorik” glauben. Indessen scheint hier vor allem durch, wie viel Verbitterung die Abspaltung nach sich ziehen würde.

Aus schottischer Sicht

Westminster fehlt es an Visionen

Der Geschäftsführer der Investment-Gesellschaft Edinburgh Financial & General Holdings, Peter de Vink, schreibt in The Scotsman, dass die Veröffentlichung des Weißbuches „einen Wendepunkt” in den Diskussionen darstellt. In seinen Augen handelt es sich um „ein ausführliches, auf Tatsachen beruhendes Plädoyer für die Unabhängigkeit”:

Für den [britischen] Premierminister David Cameron und all jene, die eine Kampagne [gegen die schottische Unabhängigkeit] führen, stellt dieses Programm eine ernsthafte Herausforderung dar. Es macht deutlich, dass es – für den Fall, dass im September das ‚Nein’ gewinnen wird – keinerlei positive Zukunftsvisionen für Schottland gibt. Dementsprechend wird die Nation die Ängste und Hetzkampagnen aus Westminster bald nicht mehr ertragen. Diejenigen, die gegen [die Unabhängigkeit] mobil machen, haben keinerlei Plan, wie sie das wirtschaftliche Potenzial Schottlands besser nutzen könnten. Sie haben sich weder klar und deutlich zu Themen wie der Besteuerung, Investitionen, Beschäftigung, Kinderbetreuung, Schulen, Krankenhäusern, Justizwesen, Unternehmensvorschriften geäußert, noch Erklärungen zur Zukunft Schottlands in der Europäischen Union abgegeben.

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