Die EU braucht ein B-Team

Eine EU-Vollmitgliedschaft von Ländern wie der Ukraine oder der Türkei ist zur Zeit unrealistisch. Deshalb sollte die EU eine A- und eine B-Mitgliedschaft einführen, um die geopolitische Stabilität der Union zu garantieren.

Veröffentlicht am 9 Dezember 2013 um 12:38

Der Aufstand in der Ukraine gegen Präsident Janukowitsch und dessen Kapitulation vor den russischen Drohgebärden zwingt die Europäische Union ihre Position zu überdenken. Putin hat Kiew in einer Art und Weise bestochen, die für Brüssel schlicht unmöglich ist. Brüssel hatte kurzfristig nichts weiter zu bieten als ein Assoziierungsabkommen und auf lange Sicht die Attraktivität eines demokratischen Rechtsstaats nach europäischem Modell.

Aus geostrategischen Gründen ist es für Europa äußerst wichtig, dass sich die Ukraine im Machtstreit mit Russland auf die richtige Seite schlägt, ebenso wie der Balkan oder die Türkei, welche Brüssel auch mit Versprechen an sich binden will. Der entscheidende Punkt ist, dass die Politiker und Bevölkerungen oft unrealistische Vorstellungen von der EU-Mitgliedschaft haben und dass Brüssel es in den entscheidenden Momenten nicht wagt, „nein” zu sagen, um die neuen Länder nicht zu vergraulen.

Angst vor russischer Expansion

Auch wenn Brüssel darauf verzichtet, Kiew allzu viele Versprechungen zu machen, die Befürworter des Assoziierungsabkommens sehen darin den ersten Schritt in Richtung EU-Mitgliedschaft. Niemand kann erklären, warum die Türkei (4248371) europäischer als die Ukraine sein solle — warum das anatolische Ankara als europäische Stadt gelte, das alte habsburgische Lemberg hingegen nicht. Für die Unterstützung solcher Ambitionen kann Kiew auf Warschau zählen. Kein EU-Land will dauerhaft ein Grenzstaat sein und strebt deshalb danach, dass auch die Nachbarn in die EU kommen. Die historisch nachvollziehbare Angst vor der russischen Expansion trägt dazu bei, dass man auf eine Pufferzone drängt.

[[Europa darf die Ukraine nicht plump vor die Tür setzen]]. Da die Pro-Europäer ihre Länder in Richtung einer zukünftigen EU-Mitgliedschaft zu steuern versuchen, wird Brüssel nicht einfach lauthals verkünden, dass diese ausgeschlossen sei, ebenso wenig wie man es nie wagte, Rumänien und Bulgarien aus dem Wartezimmer zu verweisen, das letztlich zu deren EU-Mitgliedschaft führte. Brüssel hat niemals — auch mit Blick auf die Türkei, eine geographische Grenze ziehen wollen.

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Um Russland zu überbieten, muss Europa der Ukraine aber mehr als den Köder in Form eines Assoziierungsabkommen bieten. Zugleich ist es unrealistisch zu denken, dass dieses Land, welches die Weltrangliste der korruptesten Staaten anführt, auf absehbare Zeit der Beitrittsbedingung einer ordentlichen Regierungsführung gerecht werden wird, wie im Jahr 2007 [Bulgarien und Rumänien] (2371341) oder heute die [neuen Beitrittskandidaten] (4320701) auf dem Balkan. Das Beispiel Griechenland, das beinahe den Euro in den Ruin getrieben hätte, zeigt, dass auch nach drei Jahrzehnten EU-Beteiligung ein derart weit verbreiteter Missbrauch nicht ausgemerzt sein kann.

Spät gelöste „Verlobung“

Es gibt drei Optionen in Bezug auf all jene Länder, die zu Europa gehören wollen. Man lehnt die Avancen strikt ab, man erklärt die Ambitionen für unrealistisch oder man beginnt, wie im Fall der Türkei, mit zähen Verhandlungen, die auch zu großen Spannungen führen: Eine im letzten Augenblick gelöste „Verlobung“ führt nun einmal zu mehr Bitterkeit als eine frühzeitige Ablehnung. Oder aber man verhandelt standhaft weiter, ohne jemals „nein“ zu sagen: Das war der rumänische Weg. Die übereilte Beitritt der osteuropäischen Staaten führten in Westeuropa zu Wahlerfolgen der [Populisten] (4320701). Man beachte auch die wachsenden Spannungen Angesichts des Axioms der Freizügigkeit und die daraus resultierenden Deklarationen von [David]Cameron und [dem niederländischen Arbeitsminister Lodewijk [Asscher] (http://www.dutchnews.nl/news/archives/2013/12/mps_call_for_tougher_controls.php).

[[Eine realistische Einschätzung der Lage lehrt, dass die Transformation von Ländern wie der Ukraine, der Türkei oder Serbien, noch Jahrzehnte, wenn nicht gar Generationen dauern wird]]. Gleichzeitig will Brüssel diese Länder aber nicht aufgeben. Das bedeutet, dass endlich ernsthaft Zwischenformen in Erwägung gezogen werden müssen: Eine Unterscheidung zwischen A- und B-Mitgliedschaft, eine andere Vision des Europas der zwei Geschwindigkeiten, die mit dem Euro eigentlich schon Fakt geworden ist.

Dieser Ausweg wird aber von einem großen Tabu blockiert, da einige A-Länder diesen Status nicht wollen, während es andere ehrgeizige Länder gibt, die ihn zwar nicht erreichen können, für deren Selbstwertgefühl er aber unabdingbar ist. Allerdings ist eine solche Unterscheidung unvermeidbar, wenn man die EU um der geopolitischen Stabilität Willen ausbauen will, ohne gleichzeitg die Westeuropäischen Länder zu verlieren. Ignoriert man dies, wird es zwar eine EU geben, die bis zum Kaukasus reicht, die aber letzlich von innen zerfällt

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