Für die Reise in den Schengen-Raum müssen die Fahrgäste bitte noch etwas warten. In der Budapester Metro.

Der Club der Egoisten

Die Weigerung der EU, Rumänien in den Schengen-Raum zu integrieren, macht das Scheitern der rumänischen Politik, aber auch das Scheitern einer gewissen europäischen Idee deutlich, meint die Tageszeitung Adevărul.

Veröffentlicht am 13 Januar 2011 um 08:54
Für die Reise in den Schengen-Raum müssen die Fahrgäste bitte noch etwas warten. In der Budapester Metro.

Wir sollten dasVersagen beim Beitritt zum Schengen-Raum nicht kleinreden! Stattdessen sollten wir zur Kenntnis nehmen, dass seit den letzten Jahren der Ceaușescu-Regentschaft und der Mineriaden (gewaltsame Demonstrationen der Bergarbeiter) zur Amtszeit Ion Iliescus Rumänien auf europäischer Ebene noch nie so an Glaubwürdigkeit verloren hat, wie jetzt gerade.

Wie konnte es soweit kommen? Ganz einfach. Wir dachten, dass mit der Aufnahme in den Club unsere Verpflichtungen eher nebensächlich werden würden – denn man kann uns ja nicht wieder hinauswerfen. Nach dem 1.J anuar 2007 haben der damalige Präsident Băsescu, Premierminister Tăriceanu, aber auch führende Oppositionspolitiker das europäische Projekt zum Teufel gejagt und sind dazu übergegangen, ihre internen Rechnungen zu begleichen. Dazu holten sie rosafarbene und andere bunte Zettelchen aus der Mottenkiste, heckten die Amtsenthebung des Staatschefs aus und stürzten sich in Wahlkämpfe, die Inhalte vermissen liessen, aber dafür unermesslich teuer waren. Der Präsident vor allem hat sich zu skandalösen Behauptungen verstiegen, die zwar auf die rumänische Innenpolitik gemünzt waren, aber unsere europäischen Partner dennoch verstimmt haben. Rumänien ist mit dem Strom geschwommen und hat die Krise mit voller Breitseite abbekommen, so wie die Titanic den Eisberg.

Aber wer hat diese Veränderungen in Europa überhaupt zur Kenntnis genommen? Unter dem Druck der Wirtschaftskrise und durch die immer stärker werdende Abschottung vor Einwanderung sind die europäischen Staaten egoistisch und zynisch geworden. Die EU-Erweiterung, die Integration und die Einheitswährung werden nun von vielen Wählern im Westen dafür verantwortlich gemacht, dass sich die Rechtsextremen im Aufschwung befinden. Die in den stärksten EU-Ländern an der Macht stehenden tradtionellen Mitte-Rechts Regierungen, machen den Rechten immer mehr Zugeständnisse. Sie haben Angst davor, das selbe Schicksal wie die Sozialdemokraten zu erleiden, die als Folge der Krise und der Sparmaßnahmen massiv Wähler an die Linksparteien verloren haben.

Das sündige Rumänien ist wieder einmal das perfekte Opfer

Ist ihnen bewusst, dass die Rumänien gegenüber kritischten Staaten von Parteien regiert werden, die der selben Familie angehören wie die der Machthaber in Bukarest? Ihre Führungspersonen sind dabei ihren Wählern zu zeigen, dass sie die „Schuldigen” bestrafen können. Und das sündige Rumänien ist natürlich wieder einmal das perfekte Opfer.

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Es ist in der Tat gefährlich, politische oder subjektive Kriterien anzuwenden, dort, wo eigentlich technische angebracht wären – das trifft auch auf den Beitritt zum Schengen-Raum zu. Wenn diese Kriterien morgen auch auf die europäischen Fördermittel angewandt würden, wären wir verloren! Und die gesamte Union wäre in Gefahr. Ein Europa, in dem die Regeln durch das Gesetz des Stärkeren ersetzt werden ist ein Europa der Spaltung und der Konfrontation, und nicht das des Friedens und des Wohlstands. Dies hat uns die Geschichte bereits gelehrt.

Visionäre Staatsmänner hätten diese gefährlichen Entwicklungen rechtzeitig wahrgenommen und hätten alles getan, um die Auswirkungen für Rumänien so gering wie möglich zu halten. Die Folgen ihres Handelns hingegen, können wir heute spüren. Und hier müssen wir ansetzen, wenn wir uns aufrappeln wollen und beginnen wollen, unser Schicksal in Europa wieder in die Hand zu nehmen.

Aus dem Rumänischen von Romana Binder

Gegenansicht

Nationalistische Töne

Die Vertagung des Beitritts Rumäniens zum Schengen-Raum hat bei der politischen Klasse und in einigen Zeitungen Rumäniens den Nationalstolz wieder aufleben lassen. “Wir sind Rumänen”, bekräftigtder Leitartikler der Zeitung Jurnalul National und zitiert damit ein nationales Volkslied. “Und das ist gut so”, fügt er hinzu. “Das ist meine Meinung und die all derer, die dem Sirenenruf des Schengen-Raumes nicht folgen wollen.”

“Es geht ja nicht um die Verschiebung des Beitritts zum Schengen-Raum, sondern darum, dass wir eben nicht zu diesem Raum gehören”, erklärt der Journalist. “Was ich mir wünsche? Dass ich mich auch in Frankreich wie im eigenen Garten fühlen kann? In Italien wie in meinem Schlafzimmer? In Deutschland wie im Wohnzimmer?” “So geht das nicht, Freunde, so geht das nicht”, eben weil wir Rumänen sind, mahnt er und schreibt weiter:" Ob nun in Schengen oder nicht, wir bleiben die Selben. Ich fühle mich wohl mit meiner Nationalität, denn das bedeutet ja, dass ich ausdrücken kann, was ich über uns denke, genau so wie die Bulgaren, oder, warum nicht, auch die Österreicher das können.” Dann zitiert er eine weitere Zeile aus dem Volkslied, in der es heisst “wir sind hier die Herren ”. Allerdings, so fügt er hinzu, haben wir “ verdammt lausige Politiker” gewählt.

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