Seit 1979 wählen die Bürger direkt ihr Europäisches Parlament. Die in zwei Wochen gewählten Abgeordneten werden wahrscheinlich die ersten der EU sein, die tatsächlich umfassend kontrollieren dürfen. Nur: "Wen interessiert das?", erzürnt sich die Süddeutsche Zeitung. Europawahl - allein der Name löse Schüttellähmung, bescheinigt der Kommentar von Stefan Kornelius. Dabei tue der europäische Bürger seiner Union großes Unrecht. "Europa, das ist auch nach 30 Parlamentsjahren in der Wahrnehmung seiner Bürger ein scheindemokratisches Ereignis für ein paar Auserwählte der politischen Elite." Aufwendigste Kampagnen, um für Europa zu begeistern, änderten ebenso wenig daran wie Abgeordnete, Kommissare und Hohe Repräsentanten, die Werbung betrieben für die Pflicht zur Wahl, die europäische Mission, den Euro und die alten, längst abgeschafften Grenzhäuschen. "Das klingt so, als könnten alle Errungenschaften Europas mit einem Schlag wieder verschwinden, als müsse der Wähler ein Treuebekenntnis zur EU abgeben, um nicht das Große und Ganze zu gefährden. (...) Das ist so, als müssten die Deutschen bei jeder Bundestagswahl über den Fortbestand des Grundgesetzes abstimmen. Nach über 30 Jahren Parlamentsgeschichte ist dies ein grotesker Zustand", schreibt Kornelius und verweist auf die Bringeschuld des Bürgers, sich das "System Europa" endlich anzueignen. Nach 30 Jahren sollte dies die letzte Wahl sein, "bei der man erklären muss, warum das einzigartige Staatengebilde ein bisschen mehr Aufmerksamkeit verdient."
Europawahl
Macht Europa kurzsichtig?
"Um die Interessen des Landes, das ihn ins Parlament entsendet, auch wirklich zu vertreten, sollte ein Europaabgeordneter immer ein Teleskop parat haben. Damit kann er von seinem Heimatland aus nach Europa blicken und von Brüssel aus in sein Heimatland sehen!" Laut Horia-Roman Patapievici, Politikwissenschaftler und Leiter des Rumänischen Kulturinstituts, sei dies der einzige Weg, um die schwere Maschinerie des EU-Parlaments funktionsfähig zu machen und das Interesse der Wähler zu wecken. "Die europäischen Bürger werden nach wie vor nur widerwillig zur Wahl gehen," so Patapievici weiter, "solange sie das Parlament nicht als eine Institution sehen, die in der Lage ist, Dinge zu ändern." Die Wahlmüdigkeit habe politische und nicht etwa psychologische Gründe. "Sowohl in den aufstrebenden als auch in den gefestigten Demokratien leiden die europäischen Institutionen deutlich, unter einem großen politischen Defizit", analysiert der Rumäne im Evenimentul Zilei und zitiert J.H.H. Weiler, Professor an der New Yorker Universität NYU und Analytiker der europäischen Institutionen. Seiner Meinung nach "besteht zwischen der Wahlentscheidung der Bürger und den zukünftigen Beschlüssen der EU kein direkter Zusammenhang". Daher dieses "Bewusstsein der Zwecklosigkeit des Urnengangs, das den Wähler entmutigt und ihn zuhause bleiben lässt".