Der Eurostar geht gleich! Lady Ashton in Brüssel, September 2010.

Catherine Ashton, die unsichtbare Frau

Sie sollte die Stimme Europas auf internationaler Ebene sein, die Chefdiplomatin einer EU, welche weltweit Ambitionen hatte. Doch Catherine Ashton ist nicht zu hören, kaum zu sehen und hat das Vertrauen der meisten Mitgliedsstaaten bereits verloren.

Veröffentlicht am 28 Januar 2011 um 17:02
Der Eurostar geht gleich! Lady Ashton in Brüssel, September 2010.

Ein hoher Diplomat, der als europhil gilt, lacht höhnisch: „Der Europäische Außendienst ist im Einsatz? So, so, welcher Einsatz denn?“ In Brüssel gibt man sich immer bissiger, spöttischer oder betrübter, wenn es um die europäische Diplomatie und diesen „Dienst“ geht, den EAD, der einem hohen Vertreter untersteht, während der Verfassungsentwurf im Vorfeld des Vertrags von Lissabon doch einen „Außenminister der Union“ anstrebte. Ein regelrechtes Symbol. Oder vielmehr eine symbolische Regression, die Großbritannien erlangt hatte, dessen ehemaliger Labour-Premierminister Gordon Brown verkündete: „Zwischen der Welt und den Staaten gibt es nichts.“

Catherine Ashton, die zur selben politischen Formation gehörte wie Gordon Brown und ganz unerwartet auf den Posten des Hohen Vertreters katapultiert wurde, tut sich schwer, die Herausforderung zu meistern. „An ihrer Stelle hätten andere bereits aufgegeben“, betont einer ihrer Mitarbeiter. „Doch sie bleibt am Ball und sie hat ein dickes Fell.“ Ihre Berater trauen sich sogar, die „positive Bilanz“ ihrer letzten Initiativen zur Lösung des Gaza-Problems oder zur Verteidigung der koptischen Christen im Nahen Osten vorzubringen. Auch Erfolge im Balkan werden ihr zugeschrieben, so der wieder aufgenommene Dialog zwischen den führenden Politikern Serbiens und des Kosovo. Im Iran versucht sie, die Arbeit ihres Vorgängers Javier Solana weiterzuführen, indem sie die Verhandlungen über die nukleare Nichtverbreitung steuert.

„Man wird Sie verreißen, sobald Sie den Mund aufmachen.“

Doch die Hohe Vertreterin kann nicht aus ihrer Erinnerung streichen, was sie gleich bei ihrem Amtseintritt zu hören bekam: „Willkommen. Sie müssen wissen, dass man Sie verreißen wird, sobald Sie nur den Mund aufmachen.“ Die Anfänge der Lady waren in der Tat mehr als schwierig, geprägt von Irrtümern und schuldhaftem Zaudern, wofür ihr Mangel an diplomatischer Erfahrung verantwortlich gemacht wurde. Sie bemüht sich, die Kritik an ihrer Einsprachigkeit und ihren verlängerten Wochenenden mit der Familie in London zu überwinden. Sehr schnell lösten ihre Abwesenheit nach dem Erdbeben in Haiti und ihr geringes Interesse an Sicherheits- und Verteidigungsfragen eine Kontroverse aus.

Allen Hindernissen zum Trotz konnte Lady Ashton im Dezember 2010 ankündigen, die Außen- und Sicherheitspolitik habe einen „neuen Elan“ bekommen. Nach einer regelrechten Feldschlacht zwischen Rat, Parlament und Kommission über die Befugnisse und die Kontrollmechanismen der neuen Behörde, ist diese nun seit dem 1. Januar offiziell in Betrieb.

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Die 3650 Beamten stammen zum Großteil aus der ehemaligen Generaldirektion Außenbeziehungen der Kommission, aber auch aus der Generaldirektion Außenbeziehungen des Rates und den Delegationen der 27 Staaten weltweit. Rund 120 Posten müssen noch geschaffen werden und Diplomaten aus den EU-Mitgliedsstaaten sollen dem EAD beitreten. Wird diese Einrichtung den Weg für das gemeinsame europäische Sprachrohr ebnen?

Ashton gilt in Hauptstädten als Niete, ihr Dienst als chaotisch

Die Wirklichkeit ist nicht so freudig. Denn nach Weißrussland, der Elfenbeinküste und Tunesien sieht für Ashton eine Krise wie die nächste aus. Mit systematischer Verspätung, was einen Teil der jeden Tag um 12 Uhr in einem Saal der Kommission einberufenen Presse ungeduldig werden lässt, veranschaulicht ihre Sprecherin wunderbar die Formulierung des französischen Diplomaten Maxime Lefebvre: „Die gemeinsamen Erklärungen – der EU – dienen manchmal nur dazu, die Unstimmigkeiten zwischen den Mitgliedsstaaten zu verbergen.“

Für viele besteht der Eindruck, dass die Hohe Vertreterin für die Außenpolitik ein Jahr nach ihrer Ernennung noch keine Präsenz zeigt. Und in manchen europäischen Hauptstädten regt man sich langsam über diesen Mangel an Sichtbarkeit auf. Ein hoher EU-Beamter liefert ein kategorisches Urteil: „Alle haben das Kapitel abgeschlossen. Frau Ashton ist eine Niete und die Einrichtung des Dienstes war so chaotisch, dass schon niemand mehr daran glaubt.“ Für ihn entmutigt die „Passivität“ Ashtons jegliche Bündelung der diplomatischen Bemühungen und gefährdet den Austausch der heikelsten Informationen.

Personalschlacht: Briten überall

Das Unbehagen wurde mit zunehmender Fertigstellung des EAD-Organigramms immer größer. Die neuen Mitgliedsländer, doch auch Gründungsstaaten wie Deutschland oder Italien, fühlen sich unzureichend repräsentiert. Auch Frankreich ist unzufrieden, dabei hatte es lange Zeit auf eine stärkere europäische Diplomatie gedrängt. Mit Ausnahme von Pierre Vimont als geschäftsführendem Generalsekretär fand kein Diplomat des französischen Außenministeriums Gnade vor Ashtons Augen. Die Verwaltung untersteht dem Iren David O’Sullivan und der Brite Robert Cooper wird die noch unklare Rolle des Sonderberaters der Baroness ausüben. In direkter Verbindung mit ihr. Personalabteilung, Infrastrukturen und Botschaften werden von weiteren Landsleuten Ashtons verwaltet, was einiges Zähneknirschen verursacht...

Der Frust mancher geht jedoch weit über die Personalfragen hinaus und führt zu diplomatischen Initiativen, die scheinbar im Widerspruch zur Zielsetzung etlicher Hauptstädte stehen. Ashton scheint wenig auf das Europa der Verteidigung bedacht zu sein, oder zumindest nicht sehr erpicht darauf, die NATO zu verärgern, also privilegiert Paris den bilateralen Weg mit Großbritannien, um die militärische Zusammenarbeit zu erweitern. Zum großen Leidwesen Italiens, Deutschlands und anderer. Frankreich hat sich im übrigen auch beim Krisenmanagement in der Elfenbeinküste, eines der Länder seiner afrikanischen Einflusssphäre, kaum auf die Europäische Union gestützt – eine aufschlussreiche Entscheidung.

Vermittler sein reicht

Manche, wie der EU-Abgeordnete Guy Verhofstadt, Chef der Liberalen im Europäischen Parlament, glauben noch daran. „Wenn wir einen Machtverlust innerhalb der multipolaren Welt vermeiden wollen, dann brauchen wir eine globale diplomatische Strategie, in Verteidigungs- sowie in Klima-, Währungs- oder Sicherheitsbelangen“, sagt er.

Wird Ashton dazu fähig sein, diese gemeinsame Sicht auszuarbeiten? Bisher beschränkt sie sich bestenfalls auf die akzeptabelste Position für die Staaten und vernachlässigt die Entscheidungsfreiheit und die Vorrechte, die ihr der Vertrag von Lissabon einräumt? Die Baroness scheint nicht viel mehr als eine Vermittlerin zwischen den Mitgliedsstaaten sein zu wollen. Vor den sozialistischen EU-Abgeordneten verwendete sie am 12. Januar sogar selbst den Ausdruck „Facilitator“, um die mögliche Funktion der EU auf weltweiter Ebene zu definieren.

Momentan wird sich Europa also damit zufrieden geben, die „erzählende Macht“ zu bleiben, die der Geopolitologe Zaki Laïdi beschreibt. Fähig, über die Welt zu sprechen, Werte aufzuzählen, aber (noch) nicht, sich als echte Macht durchzusetzen.

Aus dem Französischen von Patricia Lux-Martel

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