„Putin hat einen Mythos zerstört“

Für den bulgarischen Politikwissenschaftler, widersprechen Russlands größerer Isolationismus und dessen aggressive Haltung die Theorie, dass wirtschaftliche gegenseitige Abhängigkeit Krieg verhindert. VoxEurop veröffentlicht Auszüge des Interviews.

Veröffentlicht am 10 Oktober 2014 um 06:47

Die Europäische Union ist mitten in einer Vertrauenskrise, Russland ist sehr aggressiv und die Vereinigten Staaten haben ihren isolationistischsten Präsidenten in Jahrzehnten. Sind in diesem Kontext Länder wie Rumänien und Bulgarien in Gefahr einer [kommunistischen] Restauration?

Ivan Krastev: Die wahre Gefahr ist Fehlfunktion. Die meisten Regime [in Ländern wie Rumänien und Bulgarien] sind auf den Aktivitäten ihrer Bürger begründet, nicht der Wirtschaft. Diese haben nicht die Möglichkeiten, die Erwartungen jener Bürger zu erfüllen, die ein besseres Leben anstreben.

Das ist der Unterschied zwischen dem Regime des [russischen Präsidenten] Vladimir Putin und den populistischen Regimen Osteuropas. Jenes Putins ist auf natürlichen Resources begründet. Putin ist nicht von seiner Bevölkerung abhängig. Nur ein fünftel der aktiven Bevölkerung Russlands produziert etwas. Das ist nicht der Fall von Bulgarien, Ungarn oder Rumänien. Diese Länder müssen mehr machen um Handel zu fördern oder ausländische Investoren anzuziehen.

Wir erleben keine Restauration [des Kommunismus]. Ich glaube, dass solange Deutschland und die anderen Länder politisch stabil bleiben die Europäische Union gegen diese Art populistischer Führung arbeiten kann.

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Haben sie vor Putin Angst?
IK: Wir sollten alle Angst vor Putin haben, aber ich denke nicht dass Putin territoriale Ambitionen hat. Er hat andere Probleme. Er ist abhängig von einer Wirtschaft, die er nicht kontrollieren kann, da sie mit den Ölpriesen schwankt. Russische Eliten sind zu abhängig vom Westen, der ihre Bankkonten beherbergt, und ihre Nachkommen ausbildet. Als Konsequenz hat Putin sich dazu entschieden, die Eliten zu nationalisieren, was ihm einen Konflikt mit dem Westen gebracht hat und ihn dazu bewegt hat, das Land zu schließen. Und mit unserer Hilfe gelingt ihm das auch.

Deutschland scheint seine Politik gegenüber Russland stark verändert zu haben.

IK: Wenn Russland etwas Wichtiges in dieser Krise verloren hat, dann ist es Deutschland. Wegen seiner politischen Manipulationen und Lügen hat Russland die deutsche politische Elite und die Sympathie der deutschen öffentlichen Meinung verloren. Ein deutscher Funktionär sagte mir, dass was ihm am meisten über Putin entsetzt hat war, dass er ihn persönlich belogen hätte. [In diesem Kontext] ist eine verantwortliche Außenpolitik nicht möglich. Mir wurde gesagt, dass die [deutsche Kanzlerin] Angela Merkel Putin angerufen habe und ihm gesagt habe: „Wir haben Fotos ihrer Panzer 80 km über der Grenze in der Ukraine. Was haben Sie zu sagen?“ Putin antwortete: „Ich bin überrascht. Aber wir sind so korrupt, dass diese Panzer wahrscheinlich von jemandem in unseren eigenen Reihen verkauft wurden.“ Dieser Zugang ist inakzeptabel.

Das größere Problem ist jedoch, dass Putin einen Mythos zerstört hat, nämlich jenen, dass wirtschaftliche Interdependenz Krieg verhindert. Wir haben gesehen, dass wenn ein Partner sich dazu entscheidet, zu provozieren, die gegenseitige Abhängigkeit nicht nur Krieg nicht verhindert, sondern auch jede Reaktion verlangsamt. Und das unabhängig von der Tiefe der Abhängigkeit.

Ich war nicht darauf vorbereitet, dass Putin verkündet, dass er nicht nur von der Wirtschaft leben, sondern auch in die Geschichte eingehen möchte. Meine größte Angst wäre, dass Putin andere Länder überzeugt, dass wirtschaftliche Unabhängigkeit die einzige Lösung ist. Wenn es dazu kommt werden die populistischen Tendenzen stärker werden.

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