Opinion, ideas, initiatives Gemeinsame Verteidigungspolitik

Warum wir keine europäische Armee brauchen

Gefordert vom Präsidenten der Kommission, ist sie mehr eine Antwort auf Budgeterfordernissen als eine wirkliche politische Notwendigkeit. Und die fortbestehende Uneinigkeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert nicht seine Wirkungskraft.

Veröffentlicht am 3 April 2015 um 06:32

Die Europäer sind hinsichtlich der Verteidigungspolitik mehr oder weniger in Proamerikanische und Gaullisten aufzuteilen. Die Ersteren meinen, dass der Alte Kontinent sich nicht ohne die USA verteidigen kann und dass deswegen der Aufbau einer unabhängigen Europa-Armee paradoxerweise unsere Sicherheit gefährden würde, da sie die NATO in Frage stellen würde. Die Gaullisten (Name des ehemaligen französischen Präsidenten Charles de Gaulle) behaupten ihrerseits, dass die amerikanische Übermacht in der NATO für Europa schädlich ist, da sie eine amerikanisch geprägte geopolitische Sicht durchsetzt. Frankreich hatte sich aus diesem Grund 40 Jahre lang aus den Führungsreihen der NATO zurückgezogen.

Selbst wenn die gemeinschaftliche Europa-Armee in allen Gemeinschaftsverträgen erwähnt wird, so ist sie dennoch ein leeres Versprechen geblieben, da die Proamerikanischen die Diskussion zur europäischen Sicherheit beherrscht haben. Die Idee, nach der das Bündnis mit den Vereinigten Staaten am wichtigsten wäre, hat den Sieg davongetragen, wodurch Washington seinen Nuklearschutz in Europa installieren konnte. Die Folge war, dass der Alte Kontinent von einer militärischen Lethargie getroffen wurde; vor allem nach dem Untergang der Sowjetunion.

Flucht nach vorne für die Integration

[[Aus militärischer Sicht scheint die Integration der natürliche Weg für Europa zu sein.]] Die NATO-Mitgliedländer geben jedes Jahr fast 200 Milliarden Euro für ihre jeweiligen Armeen aus; dreimal mehr wie Russland, das seine Militärausgaben in den letzten Jahren verdoppelt hat. Dennoch geht diese beträchtliche Summe nicht Hand in Hand mit einer qualitativ hochwertigen Ausrüstung.

Machen wir eine einfache Feststellung: Europa benutzt neun verschiedene Jagdflugzeug-Modelle, während die USA nur vier hat; die europäischen Seestreitkräfte haben 16 unterschiedliche Fregattentypen, während die US Navy nur einen hat.
Eine derartige Militärausrüstungs-Vielfalt ist gleichbedeutend für höhere Kosten im Bereich der Konzeption, der Projektentwicklung und des Unterhalts, ohne nur von den eventuellen Koordinationsproblemen im Kriegsfall zu reden.
Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin ist der Auffassung, dass die Europäer der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen wollen. Einerseits möchten sie glauben, dass sie militärisch unabhängig sind, andererseits sind sie unfähig, sich selbst zu verteidigen, da sie nicht über die notwendigen Mittel dafür verfügen.
Da sie egal für welchen Preis unabhängig sein wollen, wünschen sie keine engere Zusammenarbeit - ob im Rahmen der NATO oder durch europäische Initiativen. Das Ergebnis ein Europa, das seine militärische Vorherrschaft verliert, was wiederum seine Abhängigkeit noch mehr verstärkt. Der Meinung der Anhänger dieser Sichtweise nach ist der Aufruf von Jean-Claude Juncker ein Wachrütteln, um die Europäer zum Handeln zu bringen.
[[Die Gegner einer solchen Sichtweise sprechen von einem neuen Versuch die europäische Integration zu beschleunigen, die während er Wirtschaftskrise ihre Dynamik verloren hat.]] Charles Grants vom Zentrum für Europäische Reform (CER) ist der Meinung, dass es sich hier um eine Methode handelt, die schon mehrmals benutzt wurde, um die Apathie mit einer Flucht nach vorne zu bekämpfen.
Die Geschichte der europäischen Armee beginnt der des Euro zu ähneln: Vor seiner Einführung 1999 warnten zahlreiche Gegner, dass eine gemeinsame Währung nur funktionieren kann, wenn die EU eine einheitliche Wirtschaftspolitik haben wird. Die Euro-Anhänger erwiderten, dass sie folgerichtig zu dem Entstehen eines solchen Wirtschaftsriesen führen würde. Angesichts dessen, was in den letzten Jahren geschehen ist, und der wirtschaftlichen Situation der südlichen Ländern der Union, muss man zwangsläufig feststellen, dass die Skeptiker Recht hatten: Der Euro hat keine "Flucht nach vorne" ermöglicht. Er hat die Einheit Europas erschüttert. Ein ähnliches Szenario erwartet Europa vielleicht, wenn es sich für die Integration der Streitkräfte entscheidet.

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Sterben für Gibraltar?

Es kommen immer mehr Fragen auf: Welche Seite wird eine europäische Streitkraft im Falle eines Gibraltar-Konflikts zwischen Spanien und England wählen? Was passiert, wenn Argentinien die Falklandinseln besetzt? Muss Europa Frankreich helfen, wenn dieses seine Angelegenheiten in Mali regelt? Was ist mit der Türkei, die Mitglied der NATO aber nicht der Union ist? Was wird man mit den offiziell neutralen Staaten wie Österreich der Schweden machen? Wie würden die Beziehungen zwischen einem militärischen Europa und den USA oder der NATO aussehen?
Jonathan Eyal vom britischen Royal United Service Institute ist der Auffassung, dass das Angebot von Jean-Claude Juncker sogar gefährlich für Europa ist, da es an Moskau signalisiert, dass es Spannungen zwischen dem Alten Kontinent und Nordamerika gibt. Es ermöglicht dem Kreml, einen Bruch zwischen den westlichen Verbündeten zu erahnen.
Die zentrale Frage ist folgende: [[Wie stellt sich Junckers die Führung dieser Armee ohne eine gemeinsame Außenpolitik vor?]] Werden die taktischen Entscheidungen vom Europa-Parlament erörtert werden, wie es die Grünen vorschlagen? Die Frage ist umso entscheidender, als dass es sich hier um eine Grundsatzfrage für die Existenz bestimmter Staaten handeln könnte.
Im Fall des Euro, haben die Staaten vereinbart, einen Teil ihrer Staatshoheit im Tausch gegen konkrete Vorteile wie den Zugang zum gemeinsamen Markt zu übertragen. Der entscheidenste Unterschied ist, dass die gemeinschaftlichen Wirtschaftsmaßnahmen nicht den gleichen Dringlichkeitscharakter haben und die nicht mehr gültigen angefochten werden können. Die Führung einer Europa-Armee hat nicht die gleichen Möglichkeiten; vor allem im Fall eines bewaffneten Konflikts. Der Kommandant der Europa-Armee wäre gewissermaßen der Chef des Kontinents.
Alle diese strategischen Fragen haben jedoch nur eine akademische Dimension, wenn man bedenkt, dass das Ziel der Bildung von Junkers Europa-Armee ganz und gar nicht die Sicherheit der Union, sondern die Konsolidierung der öffentlichen Haushälter der Mitgliedsstaaten ist. Sein Pressesprecher hat nach dem schon historischen Interview seines Chefs erklärt, dass diese Streitkraft es ihnen erlauben wird, ungefähr 120 Milliarden Euro pro Jahr zu sparen. Der Vorschlag des Kommissionspräsidenten ist politisch so wenig realistisch, dass die haushaltpolitischen Gründe automatisch glaubhafter werden. Es ist jedoch schwer zu sagen, welche der beiden Möglichkeiten die schlimmere für Europa wäre.

Deutsche Übersetzung von Barbara Ingenhag, DVÜD

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