Sanok (Polen): Der brave Soldat Schwejk, von Adam Przybysz.

Warum wir die Tschechen so lieben

Die Tschechen sind das Volk, das die Polen am meisten lieben, behauptet eine aktuelle Studie. Liegt das daran, dass sie bei ihren Nachbarn Eigenschaften finden, die sie selbst gerne hätten?, fragt der polnische Schriftsteller und Tschechenfreund Mariusz Szczygieł.

Veröffentlicht am 9 Februar 2011 um 16:42
Beentree  | Sanok (Polen): Der brave Soldat Schwejk, von Adam Przybysz.

Ich lese eine SMS, die mir der Tscheche Petr Vavrouška als Reaktion auf die Nachricht des Tages geschickt hat. Eine Studie des polnischen Meinungsforschungsinstituts CBOS besagt, dass die Hälfte aller Polen die Tschechen am meisten lieben. „Ich denke, euch blieb einfach niemand anders übrig. Ihr könnt die Deutschen nicht leiden, die Russen und Weißrussen auch nicht, und jetzt habt Ihr euch noch mit den Litauern verkracht. Bleiben unter den Nachbarn nur noch die Slowaken und wir.“

Laut einer jüngsten Studie mögen 51 Prozent aller Polen ganz besonders die Tschechen gegenüber nur 12 Prozent, die sie nicht mögen. An zweiter Stelle stehen die Slowaken (49 Prozent positiv). Das große Novum: Die beiden Nachbarstaaten stehen noch vor den Amerikanern (immerhin noch von 43 Prozent aller Polen positiv bewertet)!

Ich dachte eigentlich immer, dass wir im Grunde keinen unserer Nachbarn leiden können, dass die schlichte Tatsache als Tscheche geboren zu werden schon an sich eine Sünde sei. Heute kann ich also feiern. Ich weiß zwar nicht genau, warum die befragten Polen die Tschechen mögen, aber ich weiß, was ich an meinem Freund Petr Vavrouška mag.

Seit zwei Jahren lebt er mit seiner Frau Katka und seinen zwei Kindern in Warschau, wo er als Radiokorrespondent arbeitet. Als er über die baldige Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. berichtet, bittet ihn sein tschechischer Sender, die Aufnahme neu zu machen. Er würde zu dick auftragen, klänge wie ein Pole, wenn er von den „Wundern des Johannes Paul II.“ berichtet. Er vergesse die tschechischen Hörer und sollte eher von den „angeblichen Wundern des Papstes Johhanes Paul II.“ sprechen. ( „Ihr mögt uns, weil wir nicht so frömmeln wie ihr.“)

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Wenn Petr einen Priester interviewt, nennt er ihn „Herr Soundso“, was den Priestern gar nicht gefällt. Sie weisen ihn häufig schroff darauf hin, dass diese Anrede sich für einen Priester, also eine „fast heilige“ Person, nicht geziemt („Aber Sie sind doch ein Herr und keine Frau, oder?“, fragt Petr dann scheinheilig.)

Vergleicht er die Wahlkämpfe in Polen und der Tschechischen Republik, notiert er, dass die polnischen Politiker jeglicher Couleur ein Wort benutzen, dass im politischen Diskurs Tschechiens völlig fehlt: das Wort „Patriotismus“. („Wovor habt ihr Polen eigentlich Angst?, fragt er). Fragt man ihn, was uns unterscheidet, antwortet er „Hysterie“. Bei uns. („Wir Tschechen kennen sie kaum.“)

Petr meint, dass wir an den Tschechen ihre Ruhe und Ausgeglichenheit schätzen und uns selbst danach sehnen. Ihm zufolge hat sich die Tschechische Republik damit abgefunden, ein kleines Land zu sein: „Hysterie oder Frustration sind nicht unser Ding.“ Die Polen hingegen, fühlen sich permanent von irgendjemandem verfolgt, der sie kleinreden will. Sie wissen nicht mehr, ob sie ein großes Volk auf Augenhöhe mit Frankreich und Deutschland sind oder nicht. („Das nagt an euch und setzt euch permanent unter Druck. Ihr werdet wahrscheinlich nie Ruhe finden.“)

Und hier ist meine eigene Analyse: 51 Prozent der Polen mögen die Tschechen, weil sie sind wie wir gerne wären. Und weil sie handeln, wie wir nicht können. Wir mögen an ihnen, was uns fehlt. Und was wir so gerne hätten. (js)

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