Ideen Nach den Anschlägen in Paris

Erste Schritte eines politischen Europas

Nach den Anschlägen vom 13. November hat ein europäischer Staat – Frankreich – zum ersten Mal in der Geschichte Europas seine Partner um Hilfe bei einem bewaffneten Angriff gebeten. Die einstimmige Zustimmung aller achtundzwanzig EU-Staaten stellt einen Wendepunkt in der Außenpolitik und der Verteidigung der Union dar, betont Bernard Guetta.

Veröffentlicht am 23 November 2015 um 14:01

Seit den Anschlägen in Paris ist alles in Bewegung und alles passiert schnell. Das war bei der internationalen Syrien-Konferenz in Wien am 14. November deutlich zu spüren. Es wurde sich früher als erwartet darauf geeinigt, direkte Gespräche zwischen dem Regime und den aufständischen Gruppen einzuleiten, die Russland seither nicht mehr als allgemein „terroristisch“ bezeichnet.

Es war auch auf dem G20-Gipfel zu spüren, bei dem Barack Obama und Wladimir Putin den Syrien-Kompromiss klar und deutlich zur Priorität zu machten. Sowohl in Wien als auch beim G20-Gipfel in Antalya wurde klar, dass das Ziel Russlands nicht mehr in dem Versuch bestand, Bachar al-Assad an die volle Macht seines Amtes zurück zu verhelfen, sondern darin, den Schulterschluss mit den anderen Führungsmächten zu üben.

Somit wurden Tür und Tor dieser großen Koalition gegen Daesh geöffnet, die François Hollande am 16. November ins Leben rief und die er diese Woche in Washington und Moskau vorstellen wird. Am darauffolgenden Tag jedoch nahm alles an Geschwindigkeit an. Überall, aber vor allem in Europa.

Am 17. November fand in Brüssel ein Treffen der EU-Verteidigungsminister statt. Ein Treffen, das eigentlich Routine war, bei dem jedoch Frankreich seine Partner um die Anwendung des Artikels 42.7 des Vertrags von Lissabon bat. Dieser sieht vor, dass „im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats […] die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung [schulden]“.

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Noch nie zuvor wurde dieser Artikel geltend gemacht, geschweige denn angewendet. Die überzeugtesten europäischen pro-Nato-Staaten hätten es wahrscheinlich bevorzugt, eine ähnliche Klausel in den NATO-Vertrag aufzunehmen, aber die Union nahm den Antrag einhellig an. Das bedeutet, dass die EU zum ersten Mal seit ihrer Entstehung eine eigene Verteidigungsstrategie außerhalb des NATO-Rahmens umsetzt, was umso bedeutender ist, als dass es sich diesmal nicht nur um leere Worte handelt.

Seit dem 17. November haben mehrere europäische Länder Frankreich ihre Unterstützung in Form von materieller Hilfe und Streitkräften angeboten. Die französische Regierung ist nun im Begriff, seine Partner um Unterstützung an der afrikanischen Front zu bitten, um somit ihre Mittel auf Daesh konzentrieren zu können. Es ist ebenfalls wahrscheinlich, dass europäische Hauptstädte bald die Aufrüstung der syrischen Rebellen unterstützen werden, sodass diese gemeinsam mit der französischen Luftwaffe gegen Daesh vorgehen können. Das ist ein Wendepunkt. Ein wahrhaftig historisches Ereignis. Wenn auch die Rolle der anderen Mitgliedstaaten weniger wichtig erscheint, so sind sie dennoch nicht zu vernachlässigen.

Am selben Tag des 17. November ordnete Wladimir Putin seinen Truppen an, sich mit den Tätigkeiten des französischen Flugzeugträgers Charles de Gaulle zu koordinieren, der inzwischen im östlichen Mittelmeer angekommen ist. Es sollte ein gemeinsamer Aktionsplan bestimmt werden. Tatsächlich griff Russland Daesh an, anstatt die aufständischen Gruppen zu bombardieren, die Russland nun am Verhandlungstisch mit dem syrischen Regime sehen möchte.

Die Politik der Großmächte nähert sich an, nicht auf dem Papier sondern vor Ort. Alle unsere europäischen Partner haben einer Aufstockung der französischen Mittel zur Finanzierung des Kampfs gegen den Terrorismus zugesagt. Das ist noch kein politisches Europa, nein, aber es sieht mehr nach einem aus als je zuvor.

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