Bei der Überfahrt des Tejo, auf einer der Cacilheiros zwischen Lissabon und Cacilhas.

Du – Jugend ohne Zukunft

Damit die einen ad vitam aeternam von ihren „sozialen Errungenschaften“ profitieren können, werden andere ihrer Rechte beraubt. Diese anderen sind die jungen Menschen, unsere Kinder.

Veröffentlicht am 14 Februar 2011 um 15:08
Vitó  | Bei der Überfahrt des Tejo, auf einer der Cacilheiros zwischen Lissabon und Cacilhas.

Als der IWF das zweite Mal in Portugal eingegriffen hat, 1983, war ich 26. Eines Tages — die Stimmung war schlecht, die Fabriken in den Vororten Lissabons schwarz geflaggt, und wir fragten uns wie es weitergehen sollte, da die Gehälter mit monatelanger Verspätung ausgezahlt wurden — aß ich mit einem unverbesserlichen Optimisten im Café Marthino de Arcade in Lissabon zu Mittag. Nie werde ich vergessen, was er mir an jenem Tag im Ton der Selbstverständlichkeit sagte: „Hast du bemerkt, dass es unserer Generation, trotz aller aktueller Probleme, besser geht, als der unserer Eltern? Erinnere dich einmal daran, wie es war, als wir noch Kinder waren.“

Recht hatte er. Und unseren Eltern ging es schon besser als unseren Großeltern. Doch schaue ich auf die Generation unserer Kinder, oder der noch jüngeren, dann spüre ich, dass das heute nicht mehr so ist. Und es wird nicht mehr so sein, weil wir unseren Teil getan haben, dies kaputtzumachen. Die etwas älteren als ich, also die wahre Babyboomer-Generation der Sechziger Jahre, haben dies wahrscheinlich noch mehr zu verantworten. Seit dreißig Jahren haben sie quasi alle Machtpositionen inne. Wie auch immer, eins ist sicher: Wir hinterlassen unserer Jugend keine beneidenswerte Zukunft. Und schon ihre Gegenwart ist in mancherlei Hinsicht unerträglich.

Die Jugend verschiebt das Leben auf später

Wir haben sie die „500-Euro-Generation“ getauft, in Anspielung darauf, dass selbst mit Hochschulabschluss die meisten keinen Job über dem Mindestlohn bekommen. Heute ist die Lage noch schlimmer. Fast jeder vierte junge Mensch findet gar keinen Job (die Ziffer beläuft sich sogar auf 30 Prozent bei den Hochschulabsolventen). Und jene, die einen haben, arbeiten in Call Centern, an Supermarktkassen, als Taxifahrer, und das, obwohl ihr Abschluss der Sesam in die Arbeitswelt sein sollte. Sie werden mit recibos verdes bezahlt die „grünen Quittungen“, zunächst für Selbstständige gedacht, wurden zum Emblem des Prekariats in Portugal. Ein miserabler Lohn, der jetzt zusätzlich noch vom Staat stärker besteuert werden soll. Die jungen Menschen verharren im Elternhaus, verschieben ein eigenständiges Leben auf später, wanken politisch zwischen links und rechts und zögern, sich zu engagieren.

Vor 30 Jahren beschrieb Rui Veloso in seinem Song A rapariguinha do shopping [„Das Mädchen vom Shopping-Center”] die Oberflächlichkeit der kleinen Leute meiner Generation, die um jeden Preis den sozialen Aufstieg wollten: „Gut gekleidet und ungestüm/ fährt sie die Rolltreppe herunter/ in der Hand ein Handarbeits-Magazin/ mit leuchtenden Augen/ die Achseln parfümiert/ die Lippen rot geschminkt/ immer perfekt frisiert/ mit dick aufgetragenem Kajal und Eyeliner...“ Heute, wenn die Band Deolinda die Konzertsäle in Lissabon und Porto entflammt, wird ein anderer Ton angeschlagen: „Ich gehöre zur brotlosen Generation/ was mich nicht weiter stört/ Bin ich blöd/Alles geht baden und wird auch nicht besser werden/ Zum Glück mach ich ein Praktikum... Stimmt, es ist schon ein Glück, ein Praktikum machen zu können. Oder für einen Essengutschein arbeiten zu dürfen. Oder nach der Doktorarbeit Stütze beantragen zu können, ohne jegliche Hoffnung auf einen Job.

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Eine der Zukunft beraubte Generation. Von uns beraubt.

Nun mal ehrlich: Zunächst die Begeisterung nach der Revolution vom 25. April 1974, der Staatsstreich, der die Diktatur stürzte, dann die Hochstimmung nach dem EWG-Beitritt 1986 und schließlich die selbstmörderische, rein konsumorientierte Phase mit Einführung der Gemeinschaftswährung und niedrigen Zinsen: Im Laufe nur einer Generation haben wir die Reichtümer von zwei Generationen verplempert. Oder von noch mehr. Die private wie öffentliche Verschuldung überschreitet das BIP ums Dreifache. Wir aber werden die Zeche nicht begleichen müssen, sondern vermachen sie der jungen Generation.

Wir wollten alles, wir klammerten uns an Erreichtes

Wir wollten alles: Hohe, immer steigende Gehälter, Sicherheit und Arbeit, ein Eigenheim und ein Ferienhaus, ein Auto für jedes Familienmitglied, Handy und LCD-Fernseher, kürzere Arbeitszeiten und frühere Renten. Wir meinten, dass dies alles möglich sei, und als wir begriffen, dass es nicht geht, verhielten wir uns wie die Napfschnecke am sturmumbrandeten Felsen: Wir klammerten uns umso fester an die erreichten Positionen. Wir faselten von „Errungenschaften“ und verlangten mit immer mehr Nachdruck das Unmögliche, ohne bereit zu sein, unseren Anteil dazu beizutragen. Schließlich waren es unsere „Errungenschaften der Aprilrevolution“.

Nun schauen wir aber mal auf unser Erbe an die jungen Menschen. Suchen sie eine Wohnung, müssen sie eine kaufen, denn seit Jahrzehnten sind wir nicht in der Lage, ein vernünftiges Mietrecht zu schaffen. Die Altstädte verkommen und die jungen Leute wandern in die Vororte ab. Suchen sie einen Job, bleiben sie außen vor, auch wenn sie hochqualifiziert sind. Zu viele Ältere haben Posten quasi auf Lebenszeit inne. Junge Akademiker haben keine Chance je an einer Uni arbeiten zu können. Und gibt es einmal eine Stellenausschreibung in einem Forschungszentrum, dann bewerben sie sich sofort, doch die Gelegenheiten sind rar und die Kandidaten Legion. Sie haben auch ans Lehramt gedacht, doch die demographische Entwicklung mit rückläufigen Schülerzahlen macht ihnen auch da einen Strich durch die Rechnung. Sie träumten von einer Karriere als Anwalt, doch die Anwaltskammer schlägt ihnen die Tür vor der Nase zu. Was bleibt ihnen also übrig. Freitagabends Party machen, und morgen ist auch noch ein Tag...

Die Jugend muss Portugal neu erfinden

Und schauen wir mal, wie wir sie um die Renten gebracht haben, auf die sie theoretisch einen Anspruch hätten. Die Reform von Arbeitsminister Vieira da Silva aus dem Jahr 2007 sieht vor, dass die junge Generation Renten in bestenfalls gleicher Höhe und schlimmstenfalls Fall in nur halber Höhe dessen beziehen wird, was die ältere Generation bekommt. Und kaum einer hat es bemerkt. Warum sollte sich auch die „Nesthocker-Generation“, die noch bei Papa und Mama lebt, darüber den Kopf zerbrechen, was in 30 oder 40 Jahren sein wird?

Die junge Generation hat seit langem begriffen, dass ihr Leben zumindest nicht so spektakulär besser sein wird als das ihrer Eltern oder Großeltern. Darum schert sich diese Generation auch keinen Deut um politisches Gerede. Sie lässt sich nicht von der sich ständig wiederholenden politischen Rhetorik einlullen und glaubt jenen nicht mehr, die seit Ewigkeiten das Blaue vom Himmel versprechen.

Aus all diesen Gründen sollte sich gerade diese Generation für den gigantischen Wandel mobilisieren, den Portugal dringend braucht: Das Land muss sich neu erfinden. Portugal muss aufhören, eine verschlossene Gesellschaft zu sein, gefesselt in Privatinteressen und Klüngel. Das Land muss sich seinen Kindern öffnen, den ehrgeizigen, innovativen und entschlossenen, jenen die zur verlorenen Generation gehören und „irgendetwas“ werden wollen. Denn eins haben sie zweifellos begriffen: Die größte Dummheit besteht darin, sich nicht zu verändern. (js)

Arbeit

Die „Beta-Generation” in zehn Jahren verdoppelt

„Beta-Generation: die Zahl der Hochschulabgänger in prekären Arbeitsverhältnissen hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt“, stellt Público fest und beschäftigt sich mit den 190.000 jungen Menschen mit „grünen Quittungen“, eine Art von Gehalt ohne soziale Absicherung, und anderen befristeten Verträgen. Im September 2000 waren es 83.000, was bedeutet, dass die Zahl seither um 129 Prozent gestiegen ist. Dagegen hat die Zahl der jungen Menschen in prekärer Beschäftigung mit niedrigerem Schulabschluss nur um 5,8 Prozent zugenommen. „In unserem Wirtschaftssystem werden Arbeitplätze oder Berufe mit geringer Qualifikation bevorzugt“, stellt ein ehemaliger Staatssekretär für höhere Bildung fest. Hinzu kommen schwaches Wachstum und die Folgen der Wirtschaftskrise, ergänzt der Vorsitzende des Instituts für Arbeit und Ausbildung.

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