Migranten aus Tunesien in Lampedusa, 9. Februar 2011

Die Diplomatie muss jetzt klotzen

Die EU wird konstant überrumpelt, erst von den Revolutionen in Tunesien und Ägypten, dann vom Ansturm der Flüchtlinge auf Lampedusa. Um neuen Überraschungen vorzugreifen, sollten die 27 jetzt schon mal über eine Aufnahme der Maghreb-Staaten nachdenken.

Veröffentlicht am 15 Februar 2011 um 16:00
Migranten aus Tunesien in Lampedusa, 9. Februar 2011

Die gemeinsame EU-Außenpolitik hat bei ihrer ersten großen Bewährungsprobe versagt. Erst als klar war, dass Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak wirklich abgetreten ist, wagte sich EU-Außenministerin Catherine Ashton aus der Deckung. Zuvor war sie mit ihrem Terminwunsch in Kairo noch abgeblitzt - eine Abfuhr nicht nur für Ashton, sondern für die gesamte EU.

Lady Ashton sollte eigentlich Europa Gesicht und Gewicht auf der Weltbühne verleihen. In den Umsturztagen tauchte sie ab, zu unterschiedlich waren die Positionen der EU-Staaten: Die einen unterstützten mit Blick auf die Erfahrungen 1989 in Osteuropa die Bewegungen auf dem Tahrir-Platz, die anderen wollten abwarten, welche Führungsfigur sich für die Zeit danach herauskristallisiert. Ihre für Außenpolitik zuständige Vorgängerin in der EU-Kommission, Benita Ferrero-Waldner, beherrschte es zumindest, in vielen Sprachen rasch wenig zu sagen.

taz-15-02-2011Dass Ashton nun am Montag nach Tunis reiste, kann das blamable Wegtauchen der EU-Diplomatie davor nicht vergessen machen, zumal der deutsche Außenminister Guido Westerwelle schneller war. Er war bereits am Samstag vor Ort. Für Deutschland - und Frankreich - geht es um viel: um ökonomische und politische Beziehungen. Deutschland pumpte jährlich 112 Millionen Euro allein nach Ägypten, Frankreich 475 Millionen in die Exkolonien Algerien, Marokko und Tunesien. Das war nicht unbedingt selbstlose Wirtschaftshilfe und trug auch dazu bei, die Regime in der Region zu stabilisieren. Deshalb wollen Berlin und Paris das Feld nicht Brüssel überlassen, weil sie die Interessen ihres eigenen Landes betroffen sehen. Auch das zeigt das Misstrauen in eine gemeinsame EU-Außenpolitik. Indes kommt auf die EU noch mehr zu. Zum ganzen Artikel auf der Website des Standard...

Aus Italien

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Eine gemeinschaftliche Politik, schnell!

„Lampedusa steht kurz vor dem Zusammenbruch“, sorgt sich La Stampa, nachdem in den letzten Tagen mehrere Tausend Tunesier hier an Land gingen. „Im Auffangzentrum, das seit zwei Jahren geschlossen war, stapeln sich die Matratzen. Letzte Nacht schliefen hier 1200 Menschen in einem für 850 Personen vorgesehenen Gebäude.“

Die Tageszeitung bedauert, dass Europa Italien „fallen gelassen“ hat. „Der europäische Entscheidungsprozess ist langsam. Und das, was wir gemeinschaftliche Politik nennen, sind nur allgemeine Grundsätze, an denen sich die Mitgliedsstaaten orientieren sollen: Es gibt keine echte europäische Immigrationspolitik. Jedes Land entscheidet weiterhin, wie viele Einwanderer es aufnimmt, wie und wann es ihnen die Staatsbürgerschaft gewährt und wie es die illegalen Ströme kontrolliert“, stellt die Zeitung fest.

In diesem Kontext hat es keinen Zweck, an Europa und an Frontex zu appellieren, findet La Stampa. „Man sollte sich besser mit Deutschland und Frankreich (und in diesem Fall auch mit Spanien und Großbritannien) auf die Einrichtung einer gemeinsamen Stabilisierungsstrategie für die Maghrebstaaten einigen, zu der auch die Überwachung der Migrationsströme gehören sollte. Denn wie schon bei vergangenen Krisen wird die Welle aus Tunesien auch die anderen EU-Staaten betreffen.“

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