Lampedusa, 15. Februar 2011. Gruppe Tunesier, die soeben angelandet ist.

Was tun? Ihnen Arbeit geben!

Um mit der Migrantenwelle aus Nordafrika fertig zu werden, hat Italien die finanzielle Unterstützung der EU beantragt. Doch anstatt das Budget der Grenzkontrollagentur Frontex zu erhöhen, sollte die Union besser die Asylpolitik reformieren, um die wirtschaftliche Integration der Immigranten zu begünstigen.

Veröffentlicht am 18 Februar 2011 um 15:28
Lampedusa, 15. Februar 2011. Gruppe Tunesier, die soeben angelandet ist.

Die italienische Regierung hat im Namen der Lastenteilung Europa gebeten, das Problem der in Lampedusa an Land gehenden Flüchtlinge zu übernehmen. Die EU soll sich nicht nur an den Kosten für die Einrichtung von Patrouillen an den italienischen Grenzen – die von Frontex bereits gestellt werden – beteiligen, sondern auch einen Teil der Flüchtlinge aufnehmen.

Rom hat Ungarn, das derzeit den Vorsitz der EU führt, gebeten, ein außerordentliches Gipfeltreffen einzuberufen, um die Bedingungen und Modalitäten zur Teilung der Last festzulegen, welche durch die Aufnahme der Flüchtlinge und die Prüfung der Asylanträge entsteht. Zu diesem Thema sei bemerkt, dass ein großer Teil der Flüchtlinge anscheinend beabsichtigt, Italien zu verlassen. Üblicherweise entscheiden sich politische Flüchtlinge – wie überhaupt alle Einwanderer – für eine Region, in der bereits eine Gemeinschaft derselben Nationalität und Sprache niedergelassen ist. Heute sind die Tunesier und die Angehörigen anderer nordafrikanischer Staaten vor allem in Frankreich und Spanien konzentriert.

Taube Ohren in Europas Mitte

Italiens Antrag wird jedoch bei der Bevölkerung der größten EU-Länder – angefangen bei den Deutschen – voraussichtlich auf taube Ohren stoßen, denn die sind es gewohnt, zehnmal mehr Flüchtlinge aufzunehmen als Italien. Und die kleinen Länder wie Norwegen, die Niederlande und Schweden werden noch weniger Verständnis aufbringen, da sie in den letzten 20 Jahren im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung bis zu 15 Mal mehr Asylbewerber aufgenommen haben als Italien.

Deshalb muss jetzt erst einmal klar gestellt werden, was von Europa eigentlich verlangt werden soll. Zunächst einmal eine Reihe von Asylrechtsreformen: Die politischen Flüchtlinge können heute nicht mehr als rein diplomatisches Problem behandelt und deutlich von den Immigranten auf Arbeitssuche getrennt werden. Die Grenzen zwischen diesen beiden Migrationsströmen sind sehr dünn, denn die Bearbeitung der Asylbewerbungen durch die Mitgliedsstaaten scheint eher auf ökonomischen Faktoren (wie etwa die Arbeitslosigkeit oder das Pro-Kopf-Einkommen im Zielland) als auf rein politischen Faktoren, wie Krieg oder diktatorischen Regimes im Ursprungsland, zu beruhen. Zudem wurde in Europa in der Asylpolitik ein sehr schwerer Fehler begangen, denn bis jetzt dürfen politische Flüchtlinge weder arbeiten noch auswählen, wo innerhalb eines Landes sie sich aufhalten wollten. Dies sollte zu große Anzahlen an Asylbewerbern verhindern.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Mit Arbeit integriert man sich am besten

Das Resultat ist jedoch kontraproduktiv. Mehrere Untersuchungen zeigen, dass derartige Einschränkungen nicht von Missbräuchen abhalten. Ganz im Gegenteil, denn hindert man die Asylanten daran, einer Arbeit nachzugehen, blockiert man die wirtschaftliche Integration der Immigranten und steigert parallel dazu die Steuerlast, die sie für die heimische Bevölkerung darstellen. Neueste Studien zeigen, dass politische Flüchtlinge, die dazu gezwungen sind, von bescheidenen staatlichen Zuschüssen an vorbestimmten Orten zu leben, und nicht arbeiten dürfen, eher in Mikrokriminalität verwickelt werden als andere Bürger, darunter auch die Einwanderer, die nicht den Flüchtlingsstatus haben. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die wir berücksichtigen müssen.

Doch auch für unsere Immigrationspolitik im Allgemeinen müssen wir daraus eine Lehre ziehen. Wenn Einwanderer arbeiten dürfen, dann stellen sie eine wichtige Ressource dar, doch wenn man ihnen nur das Leben schwer macht (Einschränkungen bei Einreise, Aufenthaltsdauer, Erneuerung der Aufenthaltsgenehmigung, Arbeitsplatzwechsel usw.), dann kann zumindest ein Teil von ihnen leichter davon überzeugt werden, dass Mikrokriminalität für sie wahrscheinlich verlockender ist als die zu kompliziert gewordene Integration in die Arbeitswelt. Die EU-weite Koordinierung von Asylpolitik und Migrationsströmen sollte sich zudem auf transparente Kriterien stützen, die von allen EU-Mitgliedsstaaten geteilt werden.

Heute versuchen mehrere europäische Länder, Punktesysteme einzuführen, mit denen klar definierte Prioritäten bei der Erteilung von Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen festgesetzt werden könnten. Mit diesen Systemen wird oft die qualifizierte Zuwanderung von vorwiegend gebildeten Personen gefördert, die sich leichter im Aufnahmeland integrieren können. Es spricht nichts dagegen, dabei auch humanitäre Gesichtspunkte einzuführen, indem Antragstellern aus Ländern, in denen Bürgerkriege wüten oder die Zivilbevölkerung regelmäßig Opfer von Gewalt, Folter und willkürlichen Verhaftungen ist, ein Vorrang gewährt wird. Die gemeinsame Kontrolle der Grenzen, eine Asylpolitik im Einklang mit der wirtschaftlich begründeten Immigrationspolitik, gestützt auf transparente Prinzipien wie etwa das Punktesystem, können somit zu den Stärken einer europäischen Immigrationspolitik werden. (pl-m)

Meinung

Von welcher „Welle“ redet ihr?

„Wenn Menschen zwischen Casablanca und Damaskus dieser Tage von 'Welle' reden, meinen sie die anhaltende Serie von Massenprotesten gegen Unterdrückung, Korruption und Armut. Wenn Europäer dieser Tage von 'Welle' reden, dann meinen sie rund 5000 Flüchtlinge […], die [...] auf Lampedusa gelandet sind“, schreibt die Zeit. Die Hamburger Wochenzeitung rät den Europäern dringend, sich von ihrer Sorge vor einer „Überschwemmung“ durch Migranten zu befreien und die Ankömmlinge nicht mehr einzig durch das Prisma der Asylpolitik zu sehen.

Vor allem Deutschland, Frankreich und die Niederlande sollten damit aufhören, die Flüchtlingsabwehr immer weiter nach außen zu verlagern; eine Politik, die ihren Ursprung in den kleinen Völkerwanderungen aus Osteuropa Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre hat. Was Europa und seine südlichen Nachbarn wirklich brauchen, und zwar zu gleichen Teilen, sei eine Migrationspolitik, die ihren Namen verdient. Dazu gehören konkret „Arbeitsvisa (auch zeitlich begrenzte), Stipendienprogramme an europäischen Hochschulen, Angleichung technischer Ausbildungsgänge an europäische Standards und gezielte Förderung von Rückkehrern auf dem heimischen Arbeitsmarkt.“ Experten schätzen, dass es rund zwei bis drei Jahre dauern werde, bis ein solches Programm mit Tunesien starten könnte.

Bis dahin, so die Zeit, haben die 5000 angeblichen Flüchtlinge, die letzten Endes nichts anderes sind als Arbeitssuchende, Recht auf menschenwürdige Behandlung. Jeder hat ein Recht darauf. „Auch und gerade, wenn er daheim eine erfolgreiche Revolution hinter sich hat.“

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema