Hat Deutschland auch Köpfchen?

Einige Tage vor dem Brüsseler Gipfel, einem wohl entscheidenden Tag für die Zukunft der Einheitswährung und der hochverschuldeten Mitglieder der Union, verstärkt Angela Merkel den Druck auf ihre EU-Partner. Sie sollen den Wettbewerbspakt absegnen, den sie sich gemeinsam mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ausgedacht hat.

Veröffentlicht am 3 März 2011 um 16:38

Als im letzten Oktober der portugiesische Wirtschaftsminister Fernando Teixeira dos Santos sagte, dass Portugal, wenn seine Staatsanleihen die 7-Prozent-Grenze übersteigen würden, so wie vorher Irland, die Hilfe der EU in Anspruch nehmen müsste, stand dem Land das Wasser schon bis zum Halse. Seit Wochen schon übersteigen nun die portugiesischen Anleihen die 7-Prozent-Marke.

Als am 15.Februar, nach dem letzten Ecofin-Gipfel, Teixeira selbst sich über die vor allem aus Deutschland kommenden „Verzögerungen und Zweifel“ beschwerte, angesichts der Notwendigkeit, den jetzigen temporären Rettungsmechanismus zu erweitern und flexibler zu gestalten, so hatte er durchaus Recht. Dabei trägt Portugal durch die Sparmaßnahmen genau wie Griechenland seinen Teil dazu bei. Wie Griechenland kommt Portugal die deutsche Langsamkeit in der Entscheidungsfindung teuer zu stehen. Wo Berlin doch noch im Januar versprach, schneller zu handeln.

Der Pakt ist keine schlechte Idee

Diese Trägheit ist durchaus wohlkalkuliert. Kanzlerin Merkel hat dafür auch gute Gründe. Es stehen Wahlen bevor und es herrscht beinahe Einstimmigkeit in der ultraorthodoxen/nationalistischen Vorstellung der Währungsunion: nur die Verringerung der Schulden, keine Eurobonds, keine gemeinsamen Kompromisse... Deshalb wird von den europäischen Mitgliedern auch ein „globales Paket“ als stärkeres Gegengewicht zur Einheitswährung gefordert: der Wettbewerbspakt. Dieser Sechs-Punkte-Pakt ist an sich positiv. Jedoch wurde er am 4. Februar wie ein Beitrittsvertrag vorgestellt, wie ein Diktat des Duos Merkel-Sarkozy, das sich wie ein Elefant im Porzellanladen gebärdete und prompt heftige und berechtigte Gegenreaktionen auslöste.

EU-Präsident Van Rompuy hat diesen Plan bereits gedrosselt. Er hat den zwischenstaatlichen Charakter des Paktes zugunsten der gemeinsamen EU-Institutionen beschnitten, denn andernfalls würden ja zwei Länder alleine den Ton angeben. Gleichzeitig hat er die Idee verworfen, das Null-Defizit in den Verfassungen der Mitglieder zu verankern. Aber die übrigen Punkte, so zum Beispiel diese: die Kopplung der Löhne an die Produktivität unter Berücksichtigung des sozialen Dialogs; die gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen; die Harmonisierung der Gewerbesteuern in den 27 Mitgliedsstaaten (es wäre besser, die Grundsteuern zu verallgemeinern, denn hier gibt es massenweise undurchsichtige Steuernachlässe, als die verschiedenen Steuerarten zu vereinheitlichen); die Angleichung des Renteneintrittsalters; oder einen Lösungsplan für zukünftige Bankenkrisen zu erarbeiten, all diese Punkte sind nicht nur gut gemeint. Sie sind sogar wirklich notwendig; und müssten dementsprechend auch integraler Bestandteil einer wahren Wirtschaftsunion sein.

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Europa wird auf den Weg zum Kalvarienberg gestoßen

Wenn dieser Plan durchgeht, dann wird Berlin nichts anderes übrig bleiben, als seinen Teil zu erfüllen. Wie das geschehen soll? Einige setzen dabei auf informelle Absprachen, was eine nützliche Komponente bei den Gipfeltreffen dieser Tage sein könnte. Der gegenwärtige Rettungsmechanismus würde auf 500 Milliarden aufgestockt werden (mit Bürgschaften durch die zahlungskräftigsten Staaten) und es könnten auch Eurobonds ausgegeben werden (was noch Zukunftsmusik ist); oder man könnte Anleihen der in Schwierigkeiten geratenen Staaten kaufen (dieser Idee stehen die meisten, nicht nur die deutsche Kanzlerin, skeptisch gegenüber); oder man könnte den betroffenen Staaten Geld leihen, damit sie ihre teuersten Anleihen selbst zurückkaufen können. Dabei kämen die beiden letztgenannten Optionen in ihrer Wirkung der Ausstellung von Eurobonds gleich.

Im Gegenzug bekäme Berlin das, was es sich so sehr wünscht: dass ein Teil der Rechnung für die Rettung von den Banken getragen würde. Wie das geschehen könnte? Durch den Rückkauf der weniger gut bewerteten Anleihen zu ihrem Preis auf dem Sekundärmarkt, der weit unter deren nominellem Wert liegt. Ohne die Aussetzung der Zahlungen eines Landes, könnte dieses Ergebnis zumindest teilweise erreicht werden: die Aufhebung so mancher Privatschuld. Oder zumindest etwas Ähnliches. Oder Europa wird den Weg zum Kalvarienberg entlang gestoßen. Oder die Züge stoßen zusammen.

Aus dem Spanischen von Ramona Binder

Europäisches Parlament

Helsinki vs. Athen

„Athen in der roten Ecke gegen Helsinki in der blauen. Vor dem wichtigsten EU-Gipfel seit Beginn der Wirtschaftskrise bereiten sich die beiden großen ideologischen Faustkämpfer-Familien Europas an den zwei gegenüberliegenden Enden des Kontinentes auf ein Paar ‚Umkleideraum-Strategiesitzungen‘ vor“, schreibt der EUobserver. An ein und demselben Tag – dem 4. März – versammelt sich die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) in Athen, ihr Gegenspieler – die Europäische Volkspartei (EVP) – in Helsinki. Dabei werden beide politische Familien ihre Messer für den 11. März schleifen, an dem sich die 17 Länder der Eurozone in Brüssel treffen. „Bei diesem Treffen handelt es sich um keinen gewöhnlichen Gipfel, sondern eine der radikalsten Wirtschafts- und Struktur-Veränderungen, welche die Union in den vergangenen Jahren erlebt hat“, berichtet die Brüsseler Internetseite.

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