Die Stadt Srebrenica. Foto: Radio Nederland Wereldomroep

Srebrenica existiert nicht nur am 11. Juli

Vierzehn Jahre nachdem etwa 8.000 ihrer Einwohner einem Massaker zum Opfer fielen, versucht die bosnische Stadt ihre Jugendlichen auszubilden, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln und neue Weichen für die Zukunft zu stellen. An diesem Projekt versucht sich ein multiethischer Verein, der von den Niederländern finanziert wird.

Veröffentlicht am 13 Juli 2009 um 14:59
Die Stadt Srebrenica. Foto: Radio Nederland Wereldomroep

"Heute hatten sie wirklich gute Ideen", freut sich Dragana Jovanovic. Sie spricht von den Jugendlichen, die eine Ausbildung absolvieren, die ihnen beibringen soll, wie man sein eigenes Unternehmen gründet. "Wir helfen drei von ihnen dabei, ihre eigene Unternehmensstrategie zu entwickeln. Sie sind gerade dabei, eine Bienenzucht, eine Werkstatt und eine Fleischerei zu gründen."

Jovanovic ist Direktorin von Prijatelji Srebrenice („Die Freunde von Srebrenica“), einer multiethnischen Organisation, die durch niederländische Fonds finanziert wird und deren Ziel es ist, Srebrenica für junge Leute wieder attraktiv zu machen [Srebrenica, welches die Vereinten Nationen zum ‚Sicherheitsgebiet’ erklärten, wurde von den niederländischen Streitkräften beschützt, da diese dafür verantwortlich gemacht wurden, dass die Stadt am 11. Juli 1995 in die Hände der Serben fiel]. Das Büro befindet sich in einem alten Geschäft im Stadtzentrum. Das Gebäude, dessen baufällige und von pausenlosen Bombardierungen gezeichnete Fassade das Stadtbild symbolisierte, ist nun renoviert. Seine gelbe Farbe belebt den ganzen Platz.

„In den letzten Jahren wurden viele Gebäude renoviert, aber dennoch stehen einige Unterkünfte noch immer leer.“ Der Ansicht Jovanovics nach sind es keineswegs ethnische Spannungen, die das Hauptproblem darstellen, sondern vielmehr die wirtschaftlichen Probleme, die verschiedene Bewohner dazu veranlassten, die Flucht zu ergreifen. Mit seinen 19 in der Umgebung liegenden Dörfern zählt Srebrenica 10.000 Einwohner, die alle einem beachtlichen Arbeitsmangel die Stirn bieten müssen. 60 % der Einwohner sind Serben. Die anderen sind bosnische Muslime.

Die schlecht ausgebildeten Jugendlichen haben es am schwersten, Arbeit zu finden. Um ihnen zu helfen organisiert die Stiftung der Freunde Srebrenicas verschiedene Schulungen (über das Verfassen von Bewerbungsschreiben, die Erarbeitung eines Unternehmensprojektes), welche die ganze Stadt neu in Schwung bringen sollen. "Einmal im Jahr spricht man auf der ganzen Welt von Srebrenica. Doch uns gibt es nicht nur am 11. Juli. Ich würde mir wünschen, dass man uns auch an den anderen Tagen Aufmerksamkeit zuteil werden lässt, und dies vor allem im positiven Sinn".

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Diesen Wunsch teilen aber nicht alle und Jovanovic weiß das nur allzu gut. Für einige Bosnier ist Srebrenica das Symbol des Genozids. Für sie muss sich die Zukunft der Stadt auf ihre Funktion als Ort des Gedächtnisses beschränken. Die verschiedenen Unternehmungen, die Stadt mit etwas anderem in Verbindung zu bringen, werden meist als Versuche abgestempelt, die von Serben begangenen Verbrechen zu leugnen.

Dennoch hält Jovanovic an ihrem Glauben an eine andere Zukunft fest, ohne dabei das Vergangene zu vergessen. "Wir sind dazu verpflichtet, das, was geschehen ist, in unserem Bewusstsein zu tragen, sonst würde das Risiko bestehen, dass sich die Geschichte wiederereignet." Und tatsächlich ist die Vergangenheit Diskussionsstoff und dies nicht nur in ihrem eigenen Umfeld: "Wir sprechen sehr viel von unserem eigenen Leiden. Aber wir erinnern uns nicht wirklich an das Leiden der anderen."

Sie bedauert, dass die politische Führungsschicht nicht wirklich dabei behilflich ist, die ethnischen Grenzen zu überschreiten. Einige serbische Politiker setzen sich für mehr Autonomie der Republika Srpska, welche die vielen "Identitäten" Bosniens mit ausmacht, ein und provozieren somit heftige Reaktionen vonseiten der Bosnier. Ihrerseits nehmen die Serben sofort die Verteidigungshaltung ein, sobald die Politiker aus Sarajevo ihre Diskussionen über einen Sonderstatus für Srebrenica führen. Jovanovic meint, dass diese Art von Diskurs diejenigen Menschen umso mehr beeinflusst, deren wirtschaftliche Zukunft ungewiss ist. "Darum packen wir allgemeine Probleme an: Arbeitslosigkeit und Ausbildungsmangel".

Wie jedes Jahr hat Jovanovic an den Gedenkfeiern anlässlich des Mordes an Tausenden von Muslimen am 11. Juli 1995 teilgenommen. [Seit dem Sturz der Enklave konnten bis heute 6186 Leichen von den 8000 ermordeten Personen identifiziert werden.] Indem sie nach Worten ringt, und keineswegs um zu zeigen, dass sie eine „gute“ Serbin ist, sagt sie: "weil es wichtig ist, anzuerkennen, was geschehen ist".

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