Der ehemalige kroatische Regierungschef Ivo Sanader bei einer Pressekonferenz in Brüssel, 2008. (AFP)

Verlorene Illusionen auf dem Balkan

Am 1. Juli trat der kroatische Ministerpräsident zurück, weil der EU-Beitritt seines Landes in Frage gestellt war. Auch in Mazdonien wackelt die Regierung. Je weiter der europäische Traum in die Ferne rückt, desto instabiler sieht die Lage in den westlichen Balkanländern aus, befürchtet der britische Wissenschaftler Ian Bancroft.

Veröffentlicht am 15 Juli 2009 um 15:12
Der ehemalige kroatische Regierungschef Ivo Sanader bei einer Pressekonferenz in Brüssel, 2008. (AFP)

Der kroatische Ministerpräsident Ivo Sanader [der am 1. Juli von Jadranka Kosor ersetzt wurde] ist wohl vor allem auch deshalb so überraschend zurückgetreten ist, weil die kroatische Bewerbung um Aufnahme in die EU sich einfach viel zu lange verzögert hat. Seine Aufgabe zeigt die schwierige Situation der Regierungen in der gesamten Region, wenn sie die Hoffnung auf ihrer EU-Mitgliedschaft verlieren. Die "guten nachbarschaftlichen Beziehungen" setzt man auch an einigen anderen Fronten aufs Spiel, ob es sich dabei um die unilaterale Unabhängigkeitserklärung des Kosovo oder den anhaltenden Streit um den Namen Mazedoniens zwischen Griechenland und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedoniens handelt. Der Traum einer europäischen Integration geht zu Ende, und dies wird immer mehr zu einer tiefgreifenden Belastung für die Innenpolitik im Westbalkan.

Kroatien trat im April diesen Jahres der NATO bei und hatte es eigentlich auch geschafft, als wahrscheinlicher 28. EU-Mitgliedsstaat anerkannt zu werden. Jedoch scheiterten die EU-vermittelten Verhandlungen über die seit 18 Jahren existierende Grenze mit Slowenien. Das Land beansprucht einen Korridor durch die Piran-Bucht, der ihm freien Zugang zu internationalen Gewässern verschaffen würde. Also drängte es Brüssel, die nächste Verhandlungsrunde auf Eis zu legen. Schweden, das nach der Tschechischen Republik gerade die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, erneuerte seine Position. Der schwedische Außenminister Carl Bildt betonte wiederholt die folgende Haltung: "Der Streit um die Grenze bleibt eine bilaterale Angelegenheit, die einzig und allein von Slowenien und Kroatien gelöst werden kann". Er ruft zum "Nachdenken in beiden Ländern" auf.

Gebietsstreitigkeiten

Wenn formell keine neuen Kapitel im Acquis communautaire [gemeinschaftlicher Besitzstand der EU] geöffnet oder geschlossen werden, so wird es wohl dabei bleiben, dass die kroatischen Ambitionen auf unbestimmte Zeit in der Warteschlange hängen. Sanader hatte darauf bereits in seiner eilig verfassten Rücktrittsrede hingewiesen, als er behauptete, dass "die EU … und das die europäische Integration keine Chance hat, solange Erpressung innerhalb der EU grundsätzlich als Handlungsprinzip akzeptiert wird". Ebenso versichert der tschechische Präsident in seiner Bilanz nochmals, dass man zutiefst bedauere, dass "die Verhandlungen keine Fortschritte gemacht haben", und dass der *"Mangel an offiziellem Fortschritt in den Verhandlungen mit Kroatien … keineswegs mit der Realität im Land in Verbindung zu bringen ist*". Sicher hält Sanader daran fest, dass "seine Arbeit getan ist und sein politisches Leben hier endet" und er sich keinesfalls der Präsidentschaftswahl stellen wird, wie man bisher erwartete. Die verpatzte Einigung bei den Gebietsstreitigkeit mit Slowenien verhindert letztendlich jedoch, dass seine politischen Ambitionen sich erfüllten. Zu ihnen gehörte die Mitgliedschaft in der EU.

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Einen Tag vor Sanaders Rücktritt hatte auch jener Mann sein Amt niedergelegt, der für die Aufnahme des Landes in die EU verantwortlich war: Der mazedonische Vize-Ministerpräsident Ivica Bocevski. Ähnlich wie Sanader hatte auch Bocevski betont, dass "seine Teilhabe an der gegenwärtigen Regierung nun ein Ende haben muss". Zum Teil sind es allerdings die eigenen euro-atlantischen Ambitionen Mazedoniens, die den 2005 bewilligten EU-Bewerberstatus nun erstickt haben. Der Streit mit den griechischen Nachbarn um den Namen Mazedoniens hält an.

Folgen für regionale Politik

Griechenland blockierte so den Antrag auf einen NATO-Beitritt Mazedoniens per Veto. Und nichts deutet auf eine baldige Lösung des Konflikts hin. Hinzu kommt der ungenügende Fortschritt bei den EU-verordneten Reformen. Prompt bekam Skopje schlechte Noten aus Brüssel. Die Beitrittsverhandlungen scheinen nun in weite Ferne gerückt zu sein.

Der Ausblick auf eine EU-Mitgliedschaft spielte in der Politik des gesamten Westbalkans eine entscheidende Rolle. Zahlreiche Politiker und Parteien konnten sich die Unterstützung ihrer Wählerschaft dank der Perspektive einer EU-Mitgliedschaft sichern, aber auch das notwendige politische Kapital vereinen, um oft umstrittene Reformen durchzuführen. Im Gegenzug mussten sie nur beteuern, dass man sich auf dem Weg nach Europa befand. Die Wirtschafts- und Finanzkrise, die sich ständig verzögernde Ratifizierung des Vertrages von Lissabon und die steigende Skepsis an der Erweiterung, haben die Zweifel nur noch verstärkt. Die politischen Parteien, die in erster Linie auf die Vorteile setzen, die sich aus einer EU-Mitgliedschaft ergeben, befinden sich immer mehr in Schwierigkeiten.

Andere Streitigkeiten, etwa um die Anerkennung von Namen (zwischen der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien und Griechenland), von Status (bezüglich des Kosovo) oder verfassungsrechtlichen Reformen (in Bosnien und Herzegowina) könnten sich als noch unlösbarer erweisen, als die Reibereien zwischen Slowenien und Kroatien. Die Umstände des Rücktritts Sanaders scheinen also zu einem Kennzeichen der Politik im Westbalkan zu werden. Das Warten der Region auf den Tag, an dem die EU sie akzeptiert und ihrem Beitritt zustimmt, wird immer länger.

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