Drei Generationen einer rumänischen Familie. Photo von J. Lawton.

Wohlfahrtsstaat für (fast) alle

2008 bezog fast die Hälfte der Rumänen soziale Unterstützung. Gut gepolsterte Renten für die einen, oder sehr lange Mutterschaftsurlaube für die anderen. Der Staat zeigte sich seinen Bürgern gegenüber großzügig. Einziger Haken: die Arbeitslosen stehen am Rande den Wohltaten zu, die andere bekommen, während die Reichen vom System profitiern.

Veröffentlicht am 16 Juli 2009 um 15:38
Drei Generationen einer rumänischen Familie. Photo von J. Lawton.

Zu Ceaucescus Zeiten, so sagen die Nostalgiker, brauchte man keine Sozialhilfe. Den Rentnern ging es gut, und man hatte nie etwas von Arbeitslosengeld gehört, denn es gab keine Arbeitslosen. Wir können noch hinzufügen, dass Betteln gesetzlich untersagt war und die Studenten nach ihrem Abschluss einen Job und Wohnungsschlüssel bekamen. Die Rentner fuhren mit Sondertickets in den Urlaub, die man heute leider nur noch bekommt, wenn man tagelang vor den Ämtern Schlange steht. Man umhätschelte auch die kinderreichen Mütter als Heldinnen, und auch sie bekamen besondere Vergütungen und Medaillen.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist Rumänien hinsichtlich der staatlichen Hilfen zu einem Land der Paradoxe geworden.

1000 Euro Sozialhilfe

Obwohl die Zahl der Armen spektakulär gesunken ist ( von 8 Millionen im Jahr 2000 auf 1,5 Millionen heute, so UNICEF), ist die Anzahl der Sozialhilfeempfänger gestiegen. 2008 bekamen nicht weniger als 11 von den 21 Millionen Rumänen staatliche Hilfen. "Diese Großzügigkeit ist der verschwenderischen populistischen Politik zuzuschreiben", erklärte Präsident Traian Basecu. Denn in Rumänien wird nicht den sozial schwachen – den Rentnern, Kindern, Arbeitslosen oder Minderheiten- geholfen, sondern den Reichen.

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Der Staat zeigt sich sehr großzügig mit dem Mutter- und Vaterschaftsurlaub. Obwohl Rumänien im Vergleich zu großen europäischen Staaten eher arm ist, leistet sich das Land einen Mutterschaftsurlaub von 24 oder 36 Monaten (im Falle eines behinderten Kindes), der sich auf 85% des durchschnittlichen Einkommens der Eltern beläuft, begrenzt auf maximal 1000 Euro. Zum Vergleich: Frankreich zahlt über 16 Wochen eine Summe, die dem Einkommen der letzten 12 Monate entspricht. In Schweden erhalten die Mütter 16 Monate 80% ihres Einkommens. Ein "Muttergesetz", das nicht immer so großzügig war, doch im Jahr 2008 avancierte es zum Wahlkampfargument.

Was die Leistungen für Kinder angeht, so gibt es Hilfen zum Kauf von Computern und wenn die Kinder heiraten, bekommen sie 200 Euro vom Standesbeamten. Seit dem 1. Juli gibt es auch staatliche Garantien zum Kauf eines ersten gemeinsamen Wohnsitzes.

Den Rentnern, eine soziale Gruppe, die in den letzten 20 Jahren gerne vergessen wurde, geht es dank der zahlreichen wahlkampfstrategischen Rentenerhöhungen auch recht gut. Dazu kennt Rumänien noch eine ganze Reihe von ganz "speziellen" Pensionären, die mehrere Tausend Euro beziehen : Richter a.D., Abgeordnete, Polizisten, Diplomaten oder die Kader der Securitate Ceaucescus. Sie haben Gesetze durchgesetzt, die ihnen saftige Renten, zwischen 1000 und 3000 Euro, sichern. Die höchste Rente bezieht ein ehemaliger Richter mit 8300 Euro pro Monat.

Die klaffenden Unterschiede bei der Rente sind heute aber nicht der einzige Grund zur Sorge. Die Anzahl derjenigen, die in die Kassen einzahlen ist im Vergleich zur Anzahl der Rentner relativ klein. Ein Arbeitnehmer kommt heute für mindestens 2 Rentner auf. Die internationalen Finanzbehörden fordern deshalb auch eine Erhöhung des Rentenalters. Bis 2014 soll das Rentenalter auf 63 Jahre für Frauen und 65 für Männer steigen (heute: 59 für Frauen, 64 für Männer). Doch wie soll man das durchsetzen, wenn die durchschnittliche Lebenserwartung in Rumänien, so das statistische Forschungsamt, bei 75 Jahren für Frauen und 68 Jahren für Männer liegt ? Sie sollten eigentlich früher in Rente gehen können, nicht später…

Arme Arbeitslose

Rumänien mag viele der reichen EU-Länder bei bestimmten Sozialleistungen toppen, bei der Arbeitslosenhilfe sind die Sache ganz anders aus. Man bekommt bei uns das geringste Arbeitslosengeld in der EU, im Durchschnitt fünfzehn Monate lang 335 Euro, so das statistische Forschungsamt.

Eine Studie des Arbeitsministeriums weist nach, dass bei gleichem Einkommen das Arbeitslosengeld in Rumänien im Vergleich sehr viel niedriger ist als in den anderen EU-Ländern. Eine Erklärung dafür wäre vielleicht die Tasache, dass in Rumänien auch die Unternehmer und Arbeitnehmer umhätschelt werden: Sie müssen nur 0,5% in die rumänische Arbeitslosenversicherung einzahlen…

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