Katowice (Pologne), Juli 2008. Marsch schlesischer Autonomisten.

Die unbeugsamen Autonomisten Schlesiens

Die Schlesier haben ihre eigene Sprache, eine lange gemeinsame Geschichte und leben in einer der reichsten Regionen Polens. Mit immer mehr Nachdruck fordern sie die Autonomie.

Veröffentlicht am 31 März 2011 um 14:17
Ahorcado  | Katowice (Pologne), Juli 2008. Marsch schlesischer Autonomisten.

Ein Hauch von Sieg lag auf dem letzten Kongress der Autonomiebewegung Schlesiens in Breslau Anfang März. 130 Abgeordnete, teils im Trachtenkostüm, versammelten sich in dem Gebäude, wo in der Zwischenkriegszeit die autonome Regierung und das Parlament tagten.

„Wir wollen den Autonomiestatus. Nicht, weil wir mit dem Rest Polens ein Problem hätten, sondern weil wir davon überzeugt sind, dass wir so unsere Rechte besser verteidigen und die öffentlichen Gelder verwalten können. Für uns bedeutet die Autonomie keinen Rückschritt. Ganz im Gegenteil: Sie ist die Zukunft. Eine Möglichkeit, die politische Krise zu lösen, die unsere europäischen Nationalstaaten heutzutage durchmachen“, meint Piotr Długosz, ein 32-jähriger Autonomie-Aktivist.

Die Nationalisten erobern die Region

Erst nach dem unerwarteten Sieg der schlesischen Autonomisten bei den Regionalwahlen im vergangenen Herbst hat man in Warschau begriffen, dass das Gebiet an der tschechischen Grenze ein wirkliches Problem darstellt. Der Wahlerfolg versetzte das politische Establishment in der Hauptstadt in Aufregung. Immerhin machen die Schlesier gut ein Zehntel der polnischen Bevölkerung aus [fast vier Millionen]. Dabei hätten sich Politiker schon seit zwanzig Jahren mit dem Fall des schlesischen Polens, und ganz besonders des industrialisierten und rohstoffreichen Teils der schlesischen Woiwodschaft, befassen müssen.

„Wie die Kommunisten vor ihnen, waren die Politiker, die das neue Polen nach dem Sturz der kommunistischen Diktatur aufgebaut haben, davon überzeugt, dass ein multiethnisches Land weniger stabil ist als ein vereinter Nationalstaat. Deshalb haben sie so getan, als gebe es die Schlesier nicht“, erklärt Marek Plura. Als Abgeordneter der Bürgerplattform (der Regierungspartei von Regierungschef Donald Tusk) im polnischen Parlament setzt er sich für die Emanzipation Schlesiens ein, ist aber gegen die Autonomie.

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„Ruch Autonomii Śląska [Bewegung für die Autonomie Schlesiens, kurz: RAŚ] hat viel für die schlesische Gemeinschaft getan“, erklärt er weiter. „Dank ihr kann man wieder mit Stolz sagen, Schlesier zu sein. Zudem hat sie die Diskussionen um unsere Geschichte und unsere Sprache in Gang gebracht.“ Dass die RAŚ zur Teilnahme am Treffen bereit war, erklärt sich nicht nur durch ihre schlesische Herkunft. Es geht auch darum, ihr radikales Image aufzupolieren. Aber – so stellte sich bei dem Kongress schnell heraus, die Schlesier lassen sich nicht so einfach bezwingen.

Junge und gebildete Aktivisten

Der 1971 geborene Jerzy Gorzelik ist Vorsitzender der schlesischen Autonomisten. Einer seiner Großeltern war an den Aufständen 1919-1921 beteiligt, als die Schlesier, deren Gebiete an Deutschland angegliedert waren, für ihre Unabhängigkeit kämpften. Der promovierte Kunsthistoriker hat nicht wirklich viel von einer charismatischen Führungsperson. Er ist eher diskret und passt sehr gut zu dem Bild eines Universitätsprofessors. Aber ganz gewiss nicht eines Separatistenführers.

„Die Autonomie ist unser wichtigster Programmpunkt und es kommt nicht in Frage, darauf zu verzichten“, wirft er mir an den Kopf, als ich ihn frage, ob nicht der Moment gekommen ist, Ruhe in die Sache zu bringen. Schließlich hat seine Bewegung es in die Regionalregierung geschafft.

„Mit Warschau gemeinsam haben wollen wir nur die Verteidigungs- und Außenpolitik, die Währung und die Infrastruktur des Landes. Der Rest, insbesondere die Steuerpolitik, soll von der autonomen Regierung entschieden werden.“ Dass ihre Region zu den wohlhabendsten in Polen gehört, sei ein Grund dafür, dass die Schlesier ihre Steuern selbst verwalten wollen, gibt er zu.

Sie finanzieren nicht nur die armen Regionen an der ukrainischen Grenze, sondern auch die bürokratische Maschine des Landes. „Aber Vorsicht! Das bedeutet nicht, dass wir ganz auf das Solidaritätssystem mit den anderen Regionen Polens verzichten wollen. Vor allem wollen wir, dass der Transfer des Geldes in diese Regionen, ebenso wie der in die Staatskasse, so transparent wie möglich gestaltet wird.“ Momentan „verschwindet unser Geld in einem schwarzen Loch“, meint er.

Tschechische Schlesier machen weniger Lärm

„Es ist ein wenig seltsam, dass die Tschechen sich überhaupt nicht dafür interessieren, was an ihren Grenzen passiert. Obwohl sie einen Teil des historischen Schlesiens bewohnen und für uns wichtige Nachbarn sind“, wundert sich ein Abgeordneter. Dass der schlesische Adler auf dem tschechischen Landeswappen zu sehen ist, beschäftigt ihn sehr. Vor allem fragt er sich, wie es die tschechischen Schlesier geschafft haben, dies durchzusetzen.

Ich habe so meine Schwierigkeiten, ihm zu erklären, dass die tschechischen Schlesier, im Gegensatz zu ihren polnischen Brüdern, keinerlei Form von Emanzipation fordern.

Für Jerzy Gorzelik sollte man Schlesien bis 2020 den Autonomiestatus gewähren. Unter den gleichen Bedingungen wie vor 70 Jahren. Damals verwaltete die autonome schlesische Regierung ihren eigenen Haushalt, entschied über ihre eigenen Steuern und bestimmte Gesetze. Genau danach sehnen sich die Schlesier von heute. (jh)

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