Ein ehrenamtlicher Helfer erfasst die Ausweise von Flüchtlingen im Camp von Choucha (Tunesien), März 2011.

Geschlossener Schalter

Die EU will früher oder später gemeinsame Asylvorschriften einrichten. Doch der Aufschwung fremdenfeindlicher Parteien in mehreren Mitgliedsstaaten und der Andrang von Migranten aus Nordafrika liefert Sprengstoff für die Diskussion.

Veröffentlicht am 6 April 2011 um 15:51
Ein ehrenamtlicher Helfer erfasst die Ausweise von Flüchtlingen im Camp von Choucha (Tunesien), März 2011.

Am 4. April kündigte der schwedische Rundfunk an, die Niederländer wollten die Bedingungen für Asylbewerber in der EU verschärfen. Die Regierung in Den Haag sei insbesondere der Meinung, ein Flüchtling müsse beweisen können, dass er nicht in einer anderen Region seines Heimatlands sichere Zuflucht finden kann. Ein derartiger Vorschlag ist absurd.

Meistens haben Menschen, die vor Verfolgungen flüchten, weder die Zeit noch die Möglichkeit, die Situation im gesamten Land zu überprüfen, bevor sie dieses verlassen. Die Pflicht, derartige Beweismittel vorzulegen, scheint gegen die Grundprinzipien des Asylrechts zu verstoßen. Deshalb ist es zu begrüßen, dass die EU-Kommissarin für Innenpolitik, Cecilia Malmström, sich klar und deutlich gegen diese alberne Idee ausgesprochen hat.

Gegensätzliche und überspitzte Emotionen

Der Antrag der Niederländer zeigt, dass die Stimmung bei den Verhandlungen über die Asylpolitik der EU angespannter wird. Nächstes Jahr soll die Union die minimalen, in den verschiedenen Mitgliedsstaaten gültigen Vorschriften durch ein gemeinschaftliches, verpflichtendes legislatorisches Arsenal ersetzen. Das ist jedenfalls vorgesehen.

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Bis heute wurde in der Öffentlichkeit nur wenig über diese Verhandlungen gesprochen. Doch hinter den Kulissen geht es heiß her.

Die zukünftige Asylpolitik löst in ganz Europa gegensätzliche und überspitzte Emotionen aus. In Mitgliedsstaaten, in denen es fremdenfeindlichen Parteien gelungen ist, ihre Thematik durchzusetzen, ist sie zu einer explosiven Frage in der politischen Diskussion geworden.

Es besteht kein Zweifel daran, dass das Konzept einer gemeinsamen Asylpolitik Risiken aufweist. Die Gefahr besteht darin, dass Länder, die eine Lockerung der Regeln befürworten, von den Verfechtern einer harten Linie übertrumpft werden. Doch auch das Gegenteil ist – so hofft man – durchaus möglich. Es wäre aus mehreren Gründen begrüßenswert, wenn die EU-Mitgliedsstaaten gemeinsame Regeln hinsichtlich des Asylrechts einrichten würden.

Nur sechs Mitgliedsstaaten nehmen Flüchtlinge auf

Die Mitgliedsstaaten besitzen gemeinsame Grenzen zum Rest der Welt – und wer sich in der EU aufhalten darf, hat auch das Recht, sich darin frei zu bewegen. Alle Länder sind also vom Umgang einzelner Mitgliedsstaaten mit Asylpolitik und Immigration betroffen. Deshalb wäre es zugleich logisch und gerechtfertigt, ein paar gemeinsame Regeln einzurichten.

Die Frage ist nur, wie. Es besteht nicht nur die Gefahr, dass Länder wie die Niederlande die Sperren an den Grenzen verstärken wollen, indem sie die Einlassbedingungen für Asylbewerber verschärfen. Auch die überfüllten Flüchtlingslager in Nordafrika zeugen davon, dass die EU in Sachen Asylpolitik noch ein gutes Wegstück vor sich hat.

Die tunesischen Behörden etwa haben insgesamt 220.000 Flüchtlinge aufgenommen. Ein großer Teil von ihnen brauchte allerdings gar keinen Schutz. Sie befanden sich in Libyen, weil sie dort arbeiteten, und wollten vor allem nach Hause. Rund 100.000 Menschen erhielten somit eine – insbesondere europäische – Unterstützung, um in ihr Land zurückzukehren.

Doch noch immer sitzen ein paar tausend Flüchtlinge in den tunesischen Flüchtlingslagern fest. Es handelt sich zum Beispiel um Somalier oder Eriträer, die in ihrem Heimatland der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt sind und demnach Asylrecht bekommen sollten.

Auf dem Papier hat ihnen die EU schon Schutz zugesichert. Doch bis heute haben sich nur sechs Mitgliedsstaaten, darunter Schweden, bereit erklärt, ein paar hundert Flüchtlinge aufzunehmen. Dass die europäischen Länder es so gar nicht eilig haben, sich stärker dafür zu engagieren, ist kein gutes Omen für die zukünftigen Schwierigkeiten bei den Verhandlungen über die EU-Asylpolitik, weil viele Länder vor allem ihre eigenen Interessen im Auge behalten. (pl-m)

Immigration

Minimalabkommen zwischen Rom und Tunis

Es sei eine "schwache Einigung“, am 5. April in Tunis zur die Flüchtlingsfrage erreicht wurde, schreibt der Corriere della Sera. Nach der ersten, gescheiterten Diskussionsrunde vom Vortag einigten sich der italienische und der tunesische Innenminister darauf, dass rund 800 vor kurzem auf Lampedusa gelandete Flüchtlinge in ihre tunesische Heimat abgeschoben würden. Die rein mündliche Absprache sieht weder die genauen Umstände noch eine Frist für diese Operation vor. Die Anzahl der Rückkehrer läge weit unter der vom italienischen Innenministerium erhofften. Rom ist sieht sich deshalb "aus humanitären Gründen“ gezwungen, den tunesischen Flüchtlingen eine sechsmonatige Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Die Regierung hofft somit, die überfüllten Auffanglager im Süden des Landes entlasten zu können. Unterdessen hat ein Fischerboot aus Libyen mit mehr als 200 Migranten an Bord Schiffbruch vor der Küste Lampedusas erlitten. 150 Personen werden weiterhin vermisst.

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