EU vs Facebook - der Kampf ums Privatleben

Das von der EU geplante Gesetz über den Internet-Datenschutz, zu dem auch das „Recht auf Vergessen“ gehören soll, wird das Vorgehen von Firmen wie Facebook stark beeinflussen. Weiter wirft es Fragen über die freie Meinungsäußerung im Internet auf.

Veröffentlicht am 13 April 2011 um 13:54

„Die Abmeldung von Facebook? Das war ein kafkaesker Alptraum!“ stöhnt Sean McTiernan, Mitte 20, Kunstjournalist aus Dublin. Er hat versucht, aus dem sozialen Netzwerk auszusteigen, musste dann aber herausfinden, dass Facebook ihn wirklich nicht ziehen lassen wollte.

Es kommt selten genug vor, dass ein junger Mensch die magnetische Anziehungskraft von Facebook ignoriert, erst recht wenn er in einer Branche tätig ist, in der die sozialen Medien vorrangig sind. Doch McTiernan erklärt, dass ihm die übermäßige Mitteilsamkeit seiner Online-Freude einfach zu anstrengend geworden sei. Er sei sich schon im Klaren darüber gewesen, dass das mit dem Aussteigen nicht so einfach sein würde (und was würde erst mit seinem Sozialleben passieren?), doch er habe sich dazu durchgerungen, sich von seiner Online-Community zu trennen. „Letztendlich“, so erzählt er, „habe ich dann ein Programm gefunden, das jeden Kommentar, den ich je geschrieben hatte, jedes von mir hochgeladene Foto und jede Nachricht auf meiner Pinnwand einzeln nacheinander löschte.“

Doch sogar das reichte nicht aus, um ihn von seinem endgültigen Verschwinden zu überzeugen. „Ich habe mein Profil dann wieder aktiviert und leer gelassen: keine Bilder, keine Nachrichten, keine Freunde. Das schien mir sicherer“, meint er. Seiner Argumentation nach stellt er durch die Aufrechterhaltung eines Schattendaseins bei Facebook sicher, dass er eben nicht bei Facebook ist.

Das Recht auf Vergessen ist nicht mehr selbstverständlich

Geht es nach dem Willen der Europäischen Union, dann werden es Leute wie McTiernan vielleicht leichter haben, ihr Online-Ich auszulöschen. Die EU will Internetnutzern das Recht auf das geben, was die Franzosen „droit à l’oubli“ nennen, also buchstäblich das Recht auf „Vergessen“. EU-Justizkommissarin Viviane Reding drängt auf strengere Datenschutzmaßnahmen, die den Internetnutzern mehr Kontrolle über ihre privaten Daten geben sollen. Firmen wie Facebook, Googleoder irgendeine der zahlreichen Foto-Sharing-Websites – auf denen die Nutzer Fotos hochladen, private Details angeben und ab und zu auch einmal peinliche Geschichten enthüllen – erfassen, speichern und verarbeiten diese Daten und könnten sie potenziell auch verkaufen.

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Die neuen Vorschriften, die noch dieses Jahr in Kraft treten sollen, machen die EU zum Vorreiter hinsichtlich der Gesetze über Datenschutz im Internet. Sie könnten auch andere Länder beeinflussen, denn die gesetzliche Regelung des Internets wird immer akuter und immer umstrittener. Mehr noch, die striktere Haltung der EU im Bezug auf Datenschutz könnten einschneidende Auswirkungen auf Unternehmen wie Facebook – das übrigens ein Interview für diesen Artikel ablehnte – und ihre Millionen von Nutzern in ganz Europa zeigen.

„Soziale Netzwerke und Foto-Sharing haben unsere Lebensweise entscheidend verändert, doch die neuen Technologien haben auch neue Herausforderungen verursacht“, sagte Reding in einer Rede im Februar. Sie fuhr fort, indem sie erklärte, es sei „heute schwerer wahrnehmbar, wenn unsere persönlichen Daten erfasst werden.“ Ihren Angaben nach „werden die Leute das Recht – und nicht nur die Möglichkeit – haben, ihre Einwilligung zur Verarbeitung ihrer Daten wieder zurückzuziehen. Die Beweislast sollte bei den Datenschutzbeauftragten liegen – denjenigen, die die persönlichen Daten verarbeiten.“

Redings Sprecher Matthew Newman erklärt, das Recht auf Vergessen sei einfach nur eine Modernisierung bereits existierender Gesetze: „Das gibt es schon, insofern dass jeder EU-Bürger die Verfügungsgewalt über seine eigenen Daten hat. Es wurde nur noch nicht berücksichtigt, wie wir das Internet heute nutzen. Vor 15 Jahren gab es so etwas wie soziale Medien noch nicht.“ Nach der legalen Umgestaltung werden manche Firmen auch beweisen müssen, dass sie die angeforderten Daten tatsächlich brauchen, und sie werden den Nutzern erlauben müssen, die Websites absolut spurenlos auch wieder verlassen zu können. „Jeder, der sich bei Twitter oder Facebook oder einer Foto-Sharing-Website anmeldet“, setzt Newman fort, „genehmigt das Teilen seiner Daten, obwohl wahrscheinlich kaum jemand die Geschäftsbedingungen liest. Man sollte das auf sehr einfache Weise wieder rückgängig machen können, und die Daten sollten dann auch wirklich gelöscht sein.“

Datenschutz oder freie Meinungsäußerung, was ist wichtiger?

Die weltweit 643 Millionen Nutzer zählende Website Facebook wurde in den letzten Jahren von Internet-Datenschützern ausgiebig kritisiert: Sie beschwerten sich, dass die Konten nicht gelöscht, sondern nur stillgelegt werden. Während Europas Schritt bei manchen durchaus auf Anklang stößt, kommt jedoch Kritik von amerikanischen Technologieunternehmen und etlichen Befürwortern, die die freie Meinungsäußerung über das Recht auf Privatsphäre stellen. Auf seinem Blog beschrieb der für den Datenschutz zuständige Privacy Counsel von Google den Schritt als „diffuse Denkweise“ und behauptete, Datenschutz sei „das neue Schwarz in der Mode der Zensur“.

„Betroffen sind weitgehend junge Leute, die dazu neigen, peinliche Fotos zu veröffentlichen, die ihnen dann Jahre später noch das Leben schwermachen“, meint Gavin Phillipson, Juraprofessor an der Universität Durham in England. Das Problem ist zwar weltweit verbreitet, doch in den USA geht man gewöhnlich darauf ein, indem man zu mehr individuellem Verantwortungsbewusstsein und einer diesbezüglichen Erziehung der Nutzer aufruft. In Europa sieht die Reaktion meist so aus, dass den Firmen, die mit persönlichen Daten arbeiten, die Flügel beschnitten werden sollen.

Lilian Edwards, Juraprofessorin an der Universität Strathclyde im schottischen Glasgow, ist eine bekannte Verfechterin der Bürgerrechte im Internet und steht dem Schritt der EU nicht nur kritisch gegenüber. „Ich hielt das anfangs für eine sehr reizvolle Idee, sah dann aber doch ein paar Probleme dabei“, erklärt sie. „Eines der Probleme ist technischer Art: Im Internet macht die Information oft schnell die Runde. Doch vom legalen und ethischen Standpunkt her besteht das Problem darin, dass der Datenschutz des einen im Konflikt mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung des anderen steht. Wenn ich in meinem Blog schreibe: ‚John war gestern betrunken’, dann ist das eine persönliche Information über John, aber es ist auch mein Recht, mich frei zu äußern.“

Aus dem Englischen von Julia Heinemann

Meinung

Vergessen ja, aber bitte nicht ganz!

Im Zeitalter des Internets nehmen die Spannungen zwischen dem Recht auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit ständig zu, schreibt die für Freiheitsrechte eintretende Tessa Mayes im Guardian. „Gerichtliche Verfügungen zur Wahrung der Anonymität der Antragssteller vor Gericht oder der Geheimhaltung privater Details werden immer häufiger“, schreibt sie. „Im vergangenen Jahr hat ein Fernsehstar eine ‚Nachrichtensperre‘ erwirkt, um seine Ex-Frau davon abzuhalten, nach seiner neuen Heirat weiterhin über seine Affäre zu sprechen.“ Darüber hinaus deutet das Aufkommen von „Managern für einen guten online-Ruf“ (deren Dienstleistung darin besteht, unerwünschte persönliche Informationen aus dem Internet zu löschen) darauf hin, dass die „Leute auch eben jene Art von Schutz wollen, den Regierungen, Berühmtheiten und große Unternehmen so toll finden.“

„Freilich spricht das Vergessen-werden so manchen an. Wenn man daraus aber gleich ein Recht macht, untergräbt man die eigentlichen Rechtsgrundlagen. Anstatt etwas zu sein, das die Beziehung zwischen dem Individuum und der Gesellschaft verkörpert, will es glauben machen, dass diese Beziehung gar nicht existiert.“

„Ein Recht auf Privatsphäre bedeutet nur etwas, weil wir in einer Gesellschaft leben. Es handelt sich um einen Anspruch auf Privatsphäre, den man von der Gesellschaft fordert, in die man aber trotzdem noch eingebunden ist. Um im öffentlichen Leben vollständig zu funktionieren brauchen wir von Zeit zu Zeit eine Auszeit.“

„Im Gegensatz dazu ist ein Recht darauf, vergessen zu werden, mit einem extremen Rückzug verbunden. In seiner schlimmsten Form könnte daraus ein antisozialer, nihilistischer Akt werden. Wenn es umgesetzt werden sollte, dann könnte das Recht auf Vergessen bedeuten, dass man uns die Kraft nimmt, in der Welt zu handeln.“

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