"Der Jugends reicht's", Demonstration von "Juventud sin futuro" in Madrid, 7 April.

Wütend, aber nicht auf den Barrikaden

Arbeitslosigkeit, Unsicherheit, ungewisse Zukunft: die spanische Jugend bekommt die Wirtschaftskrise am eigenen Leib zu spüren. Deswegen geht sie aber noch lange nicht auf die Straße, bemerkt El País.

Veröffentlicht am 27 April 2011 um 15:54
Crisis Inmobiliaria  | "Der Jugends reicht's", Demonstration von "Juventud sin futuro" in Madrid, 7 April.

„Dies ist erst der Beginn“, heißt es im Dankesschreiben der Organisation „Jugend ohne Zukunft“ an alle Teilnehmer der Demonstration vom 7. April in Madrid. Es haben zwar nur 1.000 bis 2.000 Menschen teilgenommen, aber die Organisatoren zeigen sich zufrieden. Man setzt nun alle Hoffnungen in die nächste Kundgebung, die für Mitte Mai anberaumt ist. Fest steht, dass zumindest ein kleiner Teil der heutigen Jugend, der „am besten ausgebildeten Jugend“ in der Geschichte, „schlechter leben wird als ihre Eltern“, heißt es in dem Manifest. Diese Jugend hat sich nun aufgelehnt und ist auf die Straße gegangen, genau so, wie es der 93-jährige französische Pamphletist Stéphane Hessel gefordert hat.

Es ist gleichgültig, unter welchem Aspekt man nun diese Bewegung betrachtet - ob Angst, Zurückweisung, Paternalismus, Verständnis oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, die Ursachen für die Unzufriedenheit der spanischen Jugendlichen sind für jedermann nachvollziehbar: sie beklagen ein Jahrzehnt der prekären Beschäftigungsverhältnisse und steigenden Arbeitslosigkeit, der Vollzeitjobs für nur 1.000 Euro im Monat, der Überqualifzierung durch akademische Abschlüsse und der Schwierigkeiten (um nicht zu sagen der Unmöglichkeit) eine Wohnung zu bekommen.

Und heute, nach über zwei Jahren Wirtschaftskrise, ist die Jugendarbeitslosigkeit mit über 40 Prozent doppelt so hoch wie der europäische Durchschnitt, wobei die Hälfte der Arbeitslosen unter 34 Jahre alt ist. Darüber hinaus stellen sie die Nachhaltigkeit eines Wohlfahrtsstaates in Frage, von dem sie kaum profitiert haben und schon wieder in den Schoß der Familie zurückkehren müssen. José Félix Tezanos, Soziologe an der Nationalen Fernuniversität UNED (Universidad Nacional de Educación a Distancia), sagt, dass „die Stimmung zwar nicht explosiv ist, aber doch leicht entzündbar; ein Funke schon würde reichen....“. Und fügt hinzu, dass „der Nährboden dafür im Internet bereitet wird“.

Die Meinung setzt sich durch, dass diejenigen für die Wirtschaftskrise bezahlen müssen, die sie gar nicht zu verantworten haben und die verantwortlichen Wirtschaftseliten straffrei davongekommen sind. Das Vorwort der spanischen Ausgabe von Hessels Buch hat José Luis Sampedro verfasst. Und Hessel hat das Vorwort zum verschiedene Artikel umfassenden Buch mit dem Titel „Reagiere“ (Reacciona) geschrieben. Sampedro ist mit 93 Jahren gleich alt wie der Franzose und sein Publikum ist diese diffuse Masse, die man Jugendliche nennt. Sein Aufruf ist nicht nur als Reaktion der Jugend auf ihre spezifischen Probleme gedacht: „Das System braucht einen tiefgreifenden Wandel, das müssen die Jugendlichen begreifen und besser als die Erwachsenen, die noch in der Vergangenheit verhaftet sind, auch umsetzen. […] Auch wenn das politischen Steuer immer noch in der Hand der Älteren ist und von dort aus anachronistische Befehle ausgehen, können die Jugendlichen, die am Ruder sitzen, das Boot trotzdem lenken.“

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Die durch die Krise verstärkte Unzufriedenheit ist da, ohne Zweifel. So wie auch die Mobilmachung der Jugendlichen. Die Frage ist nur, ob eine Bewegung wie Jugend ohne Zukunft oder eine andere den Unmut in eine bestimmte Richtung kanalisieren und weiter treiben kann. Pablo Padilla ist ein 22-jähriger Anthropologie-Student und Mitglied der Bewegung. Wenn von der Passivität der Jugendlichen die Rede ist, protestiert er: „Als ob der Rest der Bevölkerung besonders aktiv und wendig ist?“

Dennoch unterstreichen viele Experten die Passivität und Apathie der Jugendlichen. „Das Misstrauen in die Politiker könnte sich als Konflikt manifestieren, oder eben als Apathie und Desinteresse, wobei das letztere Modell vorherrscht. Der Mangel an politischer Tradition wiegt schwer in einem Land, wo man es nicht gewöhnt ist, sich zu mobilisieren, wo es keine starken Organisationen gibt und wo in den Gewerkschaften der Generationswechsel noch nicht vollzogen wurde“, sagt die Hochschullehrerin an der Uni Salamanca, Marta Gutiérrez Sastre. Für den Soziologen an der Uni Alicante, Antonio Alamios, braucht es klare Ziele und Alternativen, damit sich eine Protestbewegung dieser Art auch durchsetzen kann.

Entweder das, oder einen „irrationalen Sprengstoff“. Er behauptet zum Beispiel, dass die arabischen Proteste eben diese klaren Ziele haben (wirtschaftliche und demokratische Verbesserungen) und auch in Ländern der EU vereinzelt diesen „irrationalen Sprengstoff“ bewirkt haben. „Es ist so schwer die spanischen Jugendlichen zu mobilisieren, weil man scheitern kann und weil konkrete Ergebnisse fehlen. Es ist typisch für die spanischen (und viele europäische) Jugendlichen, dass sie so leben möchten wie ihre Eltern, nämlich in einer kapitalistischen Konsumwelt. Sie möchten nicht den Kapitalismus abschaffen, sondern der Kapitalismus hat mit ihnen gebrochen“, so der Soziologe.

Möglicherweise sind bislang erst wenige Jugendliche auf die Straße gegangen. Möglicherweise ist es so, dass die Familie, die Beschäftigung und die sozialen Sicherungssysteme es eher schlecht als recht schaffen, den Unmut gegenwärtig noch im Zaum zu halten, weil die Grundbedürfnisse gesichert sind. Und weil die Passivität der Mehrheit der Jugendlichen noch gegenüber denen, die aufbegehren überwiegt. „Die Jugendlichen sind nicht besonders rebellisch, sie sind ratlos, weil der soziale Vertrag gebrochen wurde“, sagt der Soziologe José Félix Tezanos und warnt gleichzeitig: „Es entwickeln sich weitreichende Bewegungen, und wenn es keine signifikanten sozialen Veränderungen gibt, dann werden sich die Probleme schnell ganz akut zeigen“.

Aus dem Spanischen von Ramona Binder

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