Der Felsen von Gibraltar aus Sicht der spanischen Enklave Ceute, am Südufer des Mittelmeers.

Die schleichende Ölpest

„Bunkering“, die Rohölbetankung von Schiffen ist verantwortlich für die starke Wasserverschmutzung in der Meerenge von Gibraltar. Die Behörden unterstützen sie. Und Madrids Rufe nach mehr Respekt der europäischen Regeln verhallen ungehört.

Veröffentlicht am 11 Mai 2011 um 15:34
Pedro Redondo  | Der Felsen von Gibraltar aus Sicht der spanischen Enklave Ceute, am Südufer des Mittelmeers.

In Punta Europa, am südlichsten Zipfel des Felsens von Gibraltar, weht der Wind einen Geruch nach faulen Eiern über die Meerenge herüber. Er stammt von den Booten, die in der Bucht von Algeciras vor Anker liegen und untereinander mit dicken Tauen verbunden sind. „Der Gestank kommt vom Gas, das entweicht, wenn die Öltanker das Rohöl an die Boote weiterleiten; es riecht zwar fürchterlich, aber es heißt, das sei nicht schädlich“, sagt ein Bewohner.

Die Bucht von Algeciras ist mit der Raffinerie, der chemischen Industrie, dem Wärmekraftwerk und der britischen U-Boot-Basis eine tickende Bombe für die Umwelt. Sie ist der Ort in Europa, wo das Risiko, dass Kohlenwasserstoff entweichen könnte, am höchsten ist. Gleichzeitig ist sie der viertgrößte Umschlagplatz für die Rohölbetankung von Schiffen (Bunkering). Jedes Jahr überqueren mehr als 106.000 Schiffe die Meerenge von Gibraltar, davon 5.000 Öltanker – das sind 10 Prozent des Weltverkehrs. „Hier haben wir eine leise und dauerhafte Ölpest“, sagt Patricia Navarro, Staatsanwältin für Umweltfragen in Cadiz.

Riesige Tankstelle zwischen Mittelmeer und Atlantik

Obwohl die Masse an Kohlenwasserstoff, die bei Unfällen in der Vergangenheit in die Bucht gelangte, schon riesig ist, wird der weitaus größere Schaden möglicherweise durch das entweichende Rohöl beim Befüllen der Öltanker verursacht. „Was die Umweltverschmutzung angeht, handelt Gibraltar absolut unverantwortlich. Hier greift das Verursacherprinzip leider nicht“ beklagt Patricia Navarro. Es ist, als ob der Felsen Europa zurufen würde: „Kommt und seht selbst. Wir verkaufen hier Rohöl für Schiffe um 20 Prozent billiger und verladen es von Schiff zu Schiff. Das ist Gibraltar, die größte schwimmende Tankstelle zwischen Atlantik und Mittelmeer.“

Dieser Ruf wurde erhört. Noch vor zehn Jahren wurden in der Bucht nicht einmal eine Million Tonnen Rohöl verladen. Ende 2009 schon konnte man diese Zahl locker mal fünf multiplizieren. Laut Greenpeace werden zwei Drittel des Rohöls in den Gewässern von Gibraltar und der Rest in spanischen Gewässern verladen. Hunderte von Öltankern mit einer Auffangkapazität von bis zu 300.000 Tonnen Kraftstoff gehen jeden Tag vor Anker. Ein Blick auf die Website localizatodo.com (alles lokalisieren) beweist, dass die Bucht von Algeciras in der Tat zu einem Refugium für die unendliche Schiffsflotte, die die Meerenge von Gibraltar überquert, geworden ist.

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Auf dem Bildschirm erscheinen normalerweise einige vereinzelte Schiffe, die sich von Osten aus langsam der Küste nähern. Das sind die Schiffe, die reihum auf die schwimmenden Tankstellen zusteuern und während des Wartens zwischen spanischen und gibraltarschen Gewässern schaukeln – drei Meilen, mit denen sich die Rechtsprechung der Kolonie auf dieser Seite des Felsens beschäftigt. Sie berufen sich dabei auf das, was in der Seefahrersprache als „friedliche Durchfahrt“ bezeichnet wird. Das ist das Recht, die Gewässer anderer Staaten schnell und ohne Unterbrechung zu befahren, ohne den Anrainerstaat zu beeinträchtigen.

„Das große in der Bucht heißt Gibraltar“

Sieht man sich an, welche Folgen das Bunkering haben kann, lässt sich bezweifeln, dass diese Schiffe keine potentielle Gefahr für Orte wie Algeciras, La Línea oder San Roque darstellen, die sehr stark von der industriellen Umweltbelastung beeinträchtigt sind. Aber laut dem Oberstaatsanwalt von Algeciras, Juan Cisneros, ist die Lage so: Immer wenn eine Patrouille der spanischen Polizei Guardia Civil sich den Schiffen auf friedlicher Durchfahrt nähert, versperrt ihnen die britische Schiffsbesatzung den Weg.

Cisneros bekräftigt, dass laut dem Vertrag von Utrecht Gibraltar über keine territorialen Gewässer verfügt, obwohl es sich entsprechend gebärdet und die spanischen Behörden dies in der Praxis auch akzeptieren. „Das große Problem der Umweltverschmutzung in der Bucht heißt Gibraltar“ unterstreicht er, „denn auf spanischem Territorium haben wir eine strengere Kontrolle. [Gibraltar] aber hat keine Restriktionen für die Schiffe, die diese europäische Richtlinie missachten, ebenso wie es bei Geldwäsche der Fall ist. Aus einem einfachen Grund: weil sie damit Geschäfte machen.“ Cisneros ist der Meinung, es sei besser, in dieser Frage direkt mit Großbritannien zu verhandeln, so „könnte man sich zumindest auf den EU-Rahmen berufen“.

Regierungschef Peter Caruana meint zu diesem Thema, dass das Betanken auf dem Meer ein höheres Unfallrisiko mit sich bringe, als an Land, aber dass Gibraltar „die internationalen und EU-Gesetze voll achtet“. Außerdem, so argumentiert er, würde durch die Kritik aus Spanien indirekt auch die Diskussion um die territoriale Souveranität heraufbeschworen.

Keine Zusammenarbeit in Umweltbelangen

In Wirklichkeit hat die EU das Bunkering nicht verboten, auch wenn sie eine strenge Einhaltung der Sicherheitsnormen fordert. Und genau hier und bei der mangelnden gerichtlichen Zusammenarbeit kommt es zum Konflikt zwischen den Behörden von Gibraltar und den spanischen Umweltbehörden.

Die Behörden von Gibraltar haben vor, im Osten des Felsens eine neue Zone für das Verladen von Rohöl auf dem Meer zu einzurichten. Die Tatsache, dass diese Zone aber zum Naturschutzgebiet der Meeresenge gehört, wo geschützte Arten leben, scheint dabei kein Hindernis zu sein. „Da sie ihre Betankungskapazitäten auf 400.000 Tonnen erhöhen möchten, wollen sie jetzt einen Damm nach holländischem Vorbild bauen, um dem Meer noch mehr Raum abzuringen“, erklärt Antonio Muñoz Secilla, Unterstützer des Vereins Verdemar. Der Umweltschützer sieht das Vorgehen in Gibralter in einem größeren Zusammenhang, nämlich dass die Kolonie mehr Raum gewinnen möchte und damit mehr Schiffe, mehr Geschäfte und somit auch ihre Vorherrschaft in den Gewässern sichern möchte, die Spanien eben nicht anerkennt.

Es gibt in Umweltbelangen keine Zusammenarbeit zwischen den Behörden von Gibraltar und Spanien, aber die Umweltschützer der Initiativen AGADEN und Ecologistas en Acción-Verdemar (Umweltschützer in Aktion) haben beide Kontakt aufgenommen mit Gleichgesinnten auf der anderen Seite der Meeresenge und behaupten, dass hier wie dort die wirtschaftlichen und politischen Interessen Vorrang haben vor den Problemen der Bürger.

Aus dem Spanischen von Ramona Binder

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