Irland wird pleite gehen

Die irische Regierung wird bis 2014 voraussichtlich eine Viertelbillion Schulden haben und ein langwieriger, chaotischer Staatsbankrott wohl unvermeidbar sein, weissagt der renommierte Ökonom Morgan Kelly.

Veröffentlicht am 17 Mai 2011 um 15:31

Irland sieht dem wirtschaftlichen Ruin entgegen.

Ein halbes Jahr nach dem 85-Milliarden-Euro Rettungspaket der EU und des IWF liegt das Rating der irischen Staatsanleihen nur knapp über dem Schrottwert und der Run auf die irischen Banken greift nun auch auf die Einlagen der Privathaushalte über. Es sieht ganz so aus, als ende der Rettungsplan von November jetzt schon in einem erbärmlichen Fehlschlag. Doch für seine Verfasser bei der EZB hat er sich als uneingeschränkter Erfolg entpuppt.

Was man am Rettungsplan für Irland verstehen muss, ist nämlich, dass es gar nicht darum ging, Irlands Finanzen so weit zu sanieren, dass die irische Regierung auf den Rentenmärkten wieder zu vernünftigen Zinssätzen Anleihen aufnehmen konnte – so wie man sich das gewöhnlich bei einem Rettungsplan vorstellt.

Statt dessen bezweckte der irische Rettungsplan nur eines: Die Spanier sollten auf Zack gebracht werden, mit dem lebenden Beweis, dass EU-Rettungsaktionen nichts für schwache Nerven sind. Und die Rechnung der EZB ist – bis jetzt zumindest – aufgegangen. Vor die Wahl gestellt, entweder wie Irland aufgeknüpft zu werden – zum internationalen Gespött geworden, muss das Land horrende Zinsen auf Rettungsgelder zahlen und seine Minister sich vor einem ungarischen Universitätsdozenten verantworten – oder sich zu bessern, haben die Spanier verständlicherweise die zweite Lösung gewählt.

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Große, insolvente Banken

Doch warum war es für die EU notwendig, oder zumindest zweckdienlich, Irland einen wirtschaftlichen Zusammenbruch aufzuzwingen, um Spanien einzuschüchtern? Die Antwort ist auf eine fundamentale und potenziell fatale Schwachstelle im Konzept der Eurozone zurückzuführen: das Fehlen jeglicher Mittel, mit großen, insolventen Banken fertig zu werden.

Als damals, Mitte der 90er Jahre, der Euro geplant wurde, kam niemand auf den Gedanken, dass umsichtige, einfallslose Banken wie die Allied Irish Banks oder die Bank of Irland, die von leicht beschränkten ehemaligen Rugbyspielern geleitet wurden, jemals Dutzende von Milliarden im Ausland aufnehmen und dann mit riskanten Immobilienkrediten alles verlieren könnten. Wäre der Zusammenbruch auf die irischen Banken beschränkt geblieben, dann hätte schon irgendein Rettungsplan zusammengeschustert werden können, doch es besteht nach wie vor der Verdacht, dass viele spanische Banken – die eine fast ebenso überschäumende Immobilienblase entstehen ließen wie die irischen, allerdings in der neuntgrößten Wirtschaftsmacht der Welt – Verluste verheimlichen, die mit den folgenschweren Verlusten ihrer irischen Kollegen durchaus vergleichbar sind.

Die Europäische Zentralbank, ein weltweiter Einzelfall, hat keine zentrale Regierung, die hinter ihr steht und Steuern erheben kann. Die Rettung eines Bankensystems, das so groß ist wie das spanische, würde von Seiten der europäischen Länder einen massiven Einsatz von Mitteln für einen Europäischen Währungsfonds erfordern: Dies wäre derart politisch komplex und kostspielig, dass es nur im äußersten Notfall in Betracht gezogen werden kann, um den Zusammenbruch der Eurozone zu vermeiden. Momentan ist es für die EZB am einfachsten, die Daumen zu drücken, dass Spanien alleine durchkommt, angespornt durch das abschreckende Beispiel der Iren.

Wir werden im Hudson landen

Die irische Insolvenz ist nun weniger ein wirtschaftliches als vielmehr ein rechnerisches Problem. Wenn alles nach Plan geht, wie es das immer tut, dann werden die irischen Staatsschulden bis auf 250 Milliarden Euro ansteigen, doch diese Differenzen spielen keine Rolle: Auf die eine oder die andere Art geht es hier um eine Staatsschuld, die mehr als 120.000 Euro pro Arbeitnehmer beträgt, d.h. 60 Prozent mehr als das Bruttoinlandprodukt.

Wirtschaftswissenschaftler haben eine Faustregel: Wenn die Inlandsschulden über dem Inlandseinkommen liegen, dann besteht für ein kleines Land Ausfallgefahr (große Wirtschaftsmächte wie Japan können deutlich höher gehen). Irland ist so weit in den roten Zahlen, dass geringfügige Änderungen des Rettungsplans keinen Unterschied machen können: Wir werden im Hudson landen.

Die EZB hat applaudiert und Irland Geld geliehen, um sicher zu stellen, dass die Banken, die der Anglo Irish Bank und der Nationwide Bank Kredite gegeben hatten, wieder an ihr Geld kamen. Heute ist die Lage so, dass infolgedessen die Banken, die irische Staatsanleihen gekauft haben, Gefahr laufen, das meiste davon zu verlieren. In anderen Worten: Die irische Bankenkrise ist Teil der größeren europäischen Staatsschuldenkrise geworden.

EZB will deutsche Boulevardblätter beschwichtigen

Angesichts der politischen Lähmung in der EU und einer Europäischen Zentralbank, die ihre Hauptaufgabe darin sieht, die Herausgeber deutscher Boulevardblätter zu beschwichtigen, ist das wahrscheinlichste Ergebnis der europäischen Schuldenkrise, dass nach etwa zwei Jahren, in welchen die französischen und deutschen Banken wieder Rückstellungen bilden können, die insolventen Länder in eine Art von Bankrott gezwungen werden.

Täuschen wir uns nicht: Während Zahlungsausfall des Staates in Ländern wie Griechenland und Argentinien fast eine normale Situation ist, wäre ein Konkurs für ein Land wie Irland, dass auf seinen Ruf als sicherer Handelsplatz baut, eine Katastrophe. Staatsbankrott zieht sich über Jahre hinweg, weil die Gläubiger auf bessere Bedingungen warten, oder an so genannte Geierfonds verkaufen, die wiederum endlose ausländische Gerichtsverfahren einleiten, um nationale Aktivposten wie Flugzeuge zu pfänden, in der Hoffnung, dass man sie auszahlt, um sie loszuwerden.

Schlimmer noch, ein Bankrott kann Irlands Finanzen keineswegs sanieren. Angesichts der anderen Verpflichtungen des irischen Staats (an die Banken, die National Asset Management Agency (NAMA), die EU, die EZB und den IWF), müssen die Inhaber regulärer Staatsanleihen mehr oder weniger eliminiert werden, damit ein Bankrott die Staatsverschuldung wieder auf ein tragbares Niveau bringt. Leider sind die meisten irischen Staatsanleihen in der Hand von irischen Banken und Versicherungen.

Irland wird Europas Pendant zu Puerto Rico

Anders gesagt, wir haben uns auf ein sinnloses Spiel eingelassen, bei dem die Gefahr der Insolvenz vom einen zum anderen immer weitergereicht wird: zuerst von den Banken an den irischen Staat, dann vom Staat zurück an die Banken und Versicherungsgesellschaften. Letztendlich wird Irland wahrscheinlich eine Art EU-Protektorat werden, Europas Pendant zu Puerto Rico.

Angenommen, wir wollen diesen Weg zu einem von der EZB dirigierten Bankrott und einem beschleunigten Landesruin nicht gehen – könnten wir denn irgendetwas tun? Es gibt immer noch einen Ausweg, der zwar nicht schmerzlos ist, aber doch beträchtlich weniger schmerzlich als das, was Europa mit uns vorhat. Das nationale Überleben erfordert, dass Irland den Rettungsplan ablehnt. Dazu muss die Regierung zweierlei tun: Sie muss sich von den Banken lösen und ihren Haushalt sofort ins Gleichgewicht bringen.

Zuerst die Banken. Die EZB will die irischen Banken zwar nicht retten, aber sie kann sie auch nicht zusammenbrechen lassen, denn die dadurch ausgelöste Panikwelle würde dann durch ganz Europa laufen.

Irland sollte sich vom Bankensystem abkehren, indem es die Aktiva der Agentur NAMA wieder an die Banken zurückgibt und seine Schuldscheine aus den Banken zurückzieht. Die EZB kann sich dann mit der wirtschaftlichen Tatsache abfinden, dass man, wenn man insolventen Banken, für die ein insolventer Staat bürgt, 160 Milliarden Euro leiht, nicht mehr Gläubiger, sondern Eigentümer ist. Irgendwann kann die EZB dann das Wort „Notkredit“ auf den Konten der irischen Banken durch das Wort „Kapital“ ersetzen. Wann sie das tut, ist ihr Problem, nicht unseres.

Irland meint es ernst

Ihre Schulden kann die irische Regierung schlagartig auf überlebensfähige 110 Milliarden Euro halbieren. Die EZB kann den irischen Banken keine Vergeltungsmaßnahmen aufzwingen, ohne in Spanien und im Rest Europas eine katastrophale Panik auszulösen. Die einzig mögliche Erwiderung Europas wäre die Streichung der Mittel für die irische Regierung.

Also muss als zweite Strategie für das nationale Überleben sofort der Staatshaushalt ins Gleichgewicht gebracht werden.

Es ist nicht schmerzlos, die Fremdfinanzierung des Staates sofort auf Null zu bringen, doch nur das kann uns von den Kredithaien befreien, die darauf aus sind, aus uns ein Exempel zu machen. Indem wir unseren Haushalt sofort ausgleichen, machen wir darauf aufmerksam, dass Irlands Probleme fast ausschließlich von der Tätigkeit von sechs Banken in Privatbesitz herrühren, und befreien uns gleichzeitig von diesen toxischen Instituten. Was ebenso wichtig ist: Es gibt dem Rest der Welt das Signal, dass Irland – das vor 20 Jahren gezeigt hat, wie sich ein kleines Land durch die Energie und die harte Arbeit seiner Einwohner aus der Armut ziehen kann, doch seitdem in die Hände von Dieben und ihren politischen Mittelsmänner gefallen ist – wieder da ist und es ernst meint.

Natürlich wissen wir alle, dass das nie passieren wird. Irische Politiker sind zu sehr daran gewöhnt, von Brüssel belohnt zu werden, um sich gegen die EU zu stellen, selbst wenn es um das Überleben des Landes geht. Es ist einfacher, sich blindlings führen zu lassen, bis uns die Schlinge um den Hals liegt und wir durch die Falltür in den Bankrott gestoßen werden.

Aus dem Englischen von Patricia Lux-Martel

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