Titos Gulag: Das Goli Otok-Gefängnis. Photo von Kristoforina.

Goli Otok, unverdaute Vergangenheit

Unter Tito war sie vierzig Jahre lang eine Strafkolonie. Heute soll die kroatische Insel eine Gedenkstätte beherbergen. Für die ehemaligen Insassen ist der Weg zur Anerkennung ihrer Leiden aber immer noch sehr lang, meint die niederländische Tageszeitung Trouw.

Veröffentlicht am 3 August 2009 um 13:22
Titos Gulag: Das Goli Otok-Gefängnis. Photo von Kristoforina.

Wir schreiben das Jahr 1949, es ist Mitternacht in einer dunklen Zelle in Montenegro, in welcher der 18-jährige Student Dmitar Kastratovics mit auf den Rücken gefesselten Händen sitzt. Er ist der lokale Anführer der Jugendgruppe der kommunistischen Partei und wurde zehn Tage zuvor wegen Besitzes einer illegalen sowjetischen Zeitung verhaftet. "Wer ist schlauer, Tito oder Stalin", fragt ihn der Mann der Geheimpolizei und richtet seine Pistole auf Kastratovics Brust. Dieser antwortet schließlich "Stalin". Zwei Tage später wird er für fast drei Jahre in die Strafkolonie von Goli Otok gesperrt.

Kastratovic ist heute beinahe 80 Jahre alt. Die Erinnerung an diese grauenvolle Zeit zieht sich weiterhin durch seine Albträume. Er erinnert sich daran, wie er stundenlang unter brennender Sonne ohne einen Tropfen Wasser arbeiten musste. "Manchmal gab man uns nur vier Bohnen zu essen, aber wenn sich einer über Hunger beschwerte und die Aufseher dies hörten, wurden alle bestraft. Sie zwangen uns, stundenlang zu laufen und schlugen uns mit Stöcken, bis wir auf dem Boden zusammenbrachen."

Diese Foltern auf Goli Otok haben ihn schließlich eine Niere gekostet und immer noch leidet er unter grässlichen Kopfschmerzen. Die Bilder seiner Freunde, die sich das Leben nahmen, indem sie von den Felsen sprangen oder die vor Erschöpfung starben, suchen ihn in seinen Träumen heim. Man befahl ihm, die Leichen auf die andere Seite der Insel zu tragen und sie dort mit bloßen Händen zu vergraben.

Goli Otok ("nackte Insel") kann heute besichtigt werden. "Man wird dort aber nicht die gleichen Informationen wie in der Ausstellung in Zagreb finden", erklärt Sacha Zanko, kroatischer Projektleiter des Berlage-Instituts in Rotterdam. Das internationale Institut bildet Architekten und Städtebauer aus. In Zusammenarbeit mit dem Architektenverbund in Zagreb und der kroatischen Organisation der ehemaligen Gefangenen Ante Zemljar, hat das niederländische Institutdie Idee entwickelt, Goli Otok neu zu gestalten, um daraus eine Gedenkstätte zu machen.

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

Die Ausstellung in Zagreb zeigt Dokumentarfilme und Fotos, sowie von ehemaligen Häftlingen kreierte Statuen. Sie hoffen, dass eine Gedenkstätte dazu beihelfe, die falsche Auffassung von einem vor seinem Zerfall in den 90er Jahren beispielhaften Jugoslawien richtig zu stellen. "Goli Otok war ein jugoslawischer Gulag, ein Zwangslager, wo Stalinisten und Gegner Titos zur 'Umerziehung' hingeschickt wurden", erklärt Trvtko Jakobina, Historiker an der Universität von Zagreb.

Zu Beginn der 1990er Jahre hat der zum Kroatischen Historischen Institut in Zagreb gehörende Historiker Berislav Jandric versucht, Forschungen über die Aktivitäten der Geheimpolizei unter dem kommunistischen Regime zwischen 1949-1953 anzustellen. "Die kroatischen Behörden haben mir daraufhin verboten, die Namen der Häftlinge zu veröffentlichen, weil sie fürchteten, wegen Menschenrechtsverletzungen gerichtlich verfolgt zu werden."

Die ehemaligen Gefangenen kämpfen seit Jahren ohne viel Erfolg für ihre Rehabilitierung. Den damaligen Aufsehern wurde nie der Prozess gemacht. Nach dem Zersplittern Jugoslawiens zu Beginn der 90er Jahre waren die Ex-Häftlinge in den verschiedenen Ländern verstreut. Dadurch wurde der Kampf um eine finanzielle Entschädigung und eine Anerkennung noch erschwert.

Die Architekten haben die Initiative ergriffen, diesen symbolischen Ort neu zu gestalten und aus ihm einen touristischen Anziehungspunkt und eine Gedenkstätte zu machen. Der Projektleiter Sacha Zanko erklärt: "Ich vergleiche die Insel immer mit Robben Island [auf welcher Nelson Mandela gefangen gehalten war]: Wir müssen einen Touristenanziehungspunkt entwickeln, der den ehemaligen Gefangenen gegenüber respektvoll ist."

Die Ausstellung 'Human Scale of Goli Otok' in Zagreb dauert bis zum 8. September.

GESCHICHTE

"Die Hölle der Adria"

Das Gefangenenlager Goli Otok wurde 1949 geöffnet, ein Jahr nach dem Bruch jeglicher politischer und wirtschaftlicher Bande zwischen Tito und Stalin. "Isoliert zwischen dem Westen und der Sowjetunion hat der jugoslawische Staatschef versucht, einen neuen Staat zu gründen und das ethnisch geteilte Land zu einigen", erklärt Trouw. "Wer der Sache entgegen stand, wurde in eines der Straflager geschickt, um über seine 'Sünden' nachzusinnen. Goli Otok war eines dieser Lager und wurde die 'Hölle der Adria' genannt."

Das Hochsicherheitsgefängnis wurde 1989 geschlossen. "Man weiß immer noch nicht genau, wie viele Häftlinge dort gefangen waren und wie viele von ihnen heute noch am Leben sind", bemerkt der zum Kroatischen Historischen Institut in Zagreb gehörende Historiker Berislav Jandric. Man schätzt ihre Zahl auf 15.000 bis 50.000.

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema