Ratingagenturen jagen den Euro

Nachdem sie die bisherigen Krisen nicht vorausgesehen hatten, werden Moody’s, Standards & Poor’s und Fitch heute beschuldigt, die Eurozone aus dem Gleichgewicht bringen zu wollen und nun die stabileren Länder zu bedrohen.

Veröffentlicht am 13 Juni 2011 um 14:26

Wollen die Ratingagenturen dem Euro an den Kragen? Nicht genug, dass sie seit anderthalb Jahren Zug um Zug die Staatsanleihen der Randstaaten der Eurozone herunterstufen, von denen manche inzwischen zu den so genannten Junk-Bonds zählen – jetzt drohen sie damit, Griechenland für zahlungsausfällig zu erklären. Warum? Weil die europäischen Staaten es gewagt haben, eine freiwillige Beteiligung der privaten Finanzinstitute (Banken, Versicherungen, Anlagefonds usw.) an der Rettung dieser Länder vorzuschlagen. So verhindert man eine Lösung, durch welche Griechenland vor einem, ihrer Ansicht nach, quasi sicheren Bankrott gerettet werden könnte.

Als wären die Märkte noch nicht nervös genug, greifen die Agenturen jetzt auch den sehr exklusiven Club der Staaten mit der Bestnotierung AAA an (es gibt 14 davon). So haben sie in den letzten Wochen angekündigt, dass Frankreich, oder auch Österreich, mehr oder weniger langfristig das AAA-Rating verlieren könnten, das ihnen ermöglicht, sich an den Märkten zum Mindestpreis zu finanzieren.

Wir tun nur, für was wir bezahlt werden

Doch nicht nur die Eurozone ist die Zielscheibe ihres Eifers: Gleich im Anschluss darauf drohten sie auch den USA und Großbritannien mit einer Herabstufung. Viele Wirtschaftsexperten fragen sich, welches Spiel die Agenturen da eigentlich spielen. „Wenn der sicherste Vermögenswert, nämlich die amerikanische Staatsanleihe, nicht mehr risikofrei ist, dann verändert das die ganze Welt“, meint Laurence Boone, Wirtschaftsprofessorin an der Ecole Normale Supérieure in Cachan [bei Paris].

Die Agenturen gehen das Risiko ein, die ganze Finanzwelt aus dem Gleichgewicht zu bringen, die dann keine sicheren Anlagenwerte mehr hat – und das wiederum könnte eine neue Weltkrise beschleunigen. Obwohl die Agenturen darauf antworten, dass sie doch nur das tun, wofür sie bezahlt werden, und dass der Markt sie nicht braucht, um Handlungsanweisungen zu bekommen, wird durch zwei Untersuchungen bewiesen, dass sie für die aktuelle finanzielle Instabilität direkt mitverantwortlich sind: ein Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) von Februar und ein vor wenigen Tagen veröffentlichter Bericht der Europäischen Zentralbank.

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Fehler durch frenetisches Herabstufen vergessen machen

In beiden Fällen ist die Schlussfolgerung die gleiche: Die Herabstufungen, die die Befürchtungen des Marktes ebenso bestätigen wie sie sie hervorrufen, haben eine direkte Auswirkung auf die Anleger, die automatisch höhere Zinsen verlangen, um das zusätzliche Risiko abzusichern. Vor allem in einem sehr integrierten Schuldenmarkt wie dem der Eurozone haben diese Herabstufungen eine destabilisierende Auswirkung auf alle anderen Länder, auch auf die bestnotierten. Insbesondere weil ihre Finanzunternehmen Halter der Schulden aller Länder der Eurozone sind: Eine Herabstufung wirkt sich also automatisch auch auf ihre eigene Zahlungsfähigkeit aus.

Die Agenturen waren nicht nur unfähig, die amerikanische Subprime-Krise im Juli 2007 vorherzusehen, bei der Produkte bis zu ihrem Zusammenbruch noch ein AAA-Rating bekamen, aber auch die Staatsschuldenkrise der Eurozone sagten sie nicht voraus, wie der IWF betont. Ein Fehler, den sie seither durch frenetisches Herabstufen in Vergessenheit geraten lassen wollen.

Wie Wildenten fliegen die Agenturen nie allein

Die Chronologie ist schwer belastend: Zehn Jahre lang haben die Agenturen, insbesondere die drei Branchenriesen Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch, systematisch die strukturellen Probleme der Randstaaten ignoriert. Erst ab Dezember 2009, also erst nachdem die griechische Regierung zugegeben hatte, mit den Ausmaß ihres Haushaltsdefizits hinter dem Berg gehalten zu haben, begann der Zyklus der Herabstufungen. Damals hatte Griechenland noch ein A-Rating, also die fünftbeste Note auf einer Skala von rund 20: Am 9. Mai stufte Standard & Poor’s die Note für griechische Anleihen auf ein Spekulationsrating herunter, gefolgt am 31. Mai von Fitch und am 2. Juni von Moody’s. Die Höllenfahrt Irlands und Portugals war identisch, selbst wenn ihre Anleihen sich noch knapp über dem spekulativen Niveau halten.

Genau wie die Wildenten fliegen auch die Ratingagenturen nie allein. Jedes Mal stufen sie ein Land im Abstand von ein paar Tagen herunter und ihre Analysen haben denselben Wortlaut. Sie folgen oft den Ängsten des Marktes, aber sie greifen ihnen auch vor, was zu schönen selbstverwirklichenden Vorhersagen führt. Die Herabstufung zwingt die Anleger aus Vorsichtsgründen zum Verkaufen, was den Wert der Anleihen mindert und den Markt in seiner Angst vor einem Zusammenbruch der Obligationen bestätigt...

Die Eurozone und der IWF haben Griechenland, Irland und Portugal durch die Aufbringung von mehreren Dutzend Milliarden Euro vor einem Zahlungsausfall geschützt, den sie also auf politische Art abhalten. „Doch für die Agenturen garantiert diese Rettung nur die Liquiditäten für ein Jahr, nicht die Solvabilität“, erklärt Laurence Boone. Insbesondere aus diesem Grund sind die Agenturen der Meinung, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Zahlungsausfall Griechenlands bis in drei bis fünf Jahren „mindestens 50 Prozent“ beträgt. Auf die Gefahr hin, die ganze Eurozone aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die Europäische Kommission hat nicht die Absicht, das tatenlos mit anzusehen.

Aus dem Französischen von Patricia Lux-Martel

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