Und nun? Junge Roma in Lipany, Slowakei. (AFP).

Roma in der Rezession

Die Wirtschaftskrise, die durch Europa wütet, trifft die Roma härter als andere: zuletzt eingestellt, zuerst gefeuert, und die Gewalttaten ihnen gegenüber nehmen zu.

Veröffentlicht am 10 August 2009 um 15:19
Und nun? Junge Roma in Lipany, Slowakei. (AFP).

Dionyz Sahi hat es geschafft, der schrecklichsten Wohngegend der zweitgrößten slowakischen Stadt Kosice zu entfliehen. Auch konnte er sich dank eines von US Steel (United States Steel Corporation) veranlassten Programmes vor lebenslänglicher Arbeitslosigkeit retten. Der Stahlproduzent stellte Angehörige der Roma-Minderheit ein. Jedoch hat sein Weg, der ihn aus der Armut führen sollte, nun aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise ein Ende genommen.

"Wir stellen keine Leute mehr ein. Wir befinden uns in einem Engpass und laufen auf Sparflamme", erklärt der Präsident der amerikanischen Filiale von US Steel in Kosice, George Babcoke. In den östlichen Teilen der Slowakei ist US Steel der größte Investor.

Nun hat die Wirtschaftskrise auch Europas geschätzt acht Millionen Roma erreicht, die vielerorts zu den wirtschaftlich am meisten gefährdeten Bevölkerungen zählen. Schon seit langem hatten viele der Zigeuner im regulären Wirtschaftssystem Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. Sobald es kriselte, gehörten sie zu den ersten, die ihren Job verloren.

"Roma stellt man zuletzt ein und feuert sie zuerst", sagt Rob Kushen, der leitende Direktor des European Roma Rights Centre (Europäisches Zentrum für die Rechte der Roma, ERRC) in Budapest. "Einzelschicksale lassen vermuten, dass die Wirtschaftskrise die Roma unverhältnismäßig hart getroffen hat, auch wenn die Beschäftigungszahlen für diese Gruppe immer niedrig waren."

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Das Gehalt fiel von 630 auf 130 Euro

Die Auswirkungen der Krise spürt man beispielsweise im Dorf Velka Lomnica im Norden der Slowakei. Hier, wo das frische Grün des Flachlandes auf die schneebedeckten Berge der Hohen Tatra trifft, leben etwa 1000 Roma in bitterer Armut. In verfallenen dreigeschossigen Wohnblöcken beugen sich Frauen aus fensterlosen Öffnungen heraus. Die Mehrheit der Menschen hier lebt in schuppenähnlichen Baracken, die sie mit ihren bloßen Händen gebaut haben, und die den rauen slowakischen Wintern nicht gewachsen sind.

Die nahgelegene Whirlpool-Fabrik war dieses Jahr gezwungen, ihre Arbeiter zu entlassen, weil die Anzahl der Aufträge für ihre Waschmaschinen immer weiter in den Keller sank. Einige von denjenigen, die ihre Arbeit verloren haben, leben in dem Dorf. Mirko, ein Roma, erklärt, dass sein Einkommen von 650 Euro auf 130 Euro gesunken ist, die er von der Regierung nun als Sozialhilfe erhält. "Wir essen jetzt ganz anders. Fleisch und Obst gehören der Vergangenheit an", sagt er. "Als ich noch Arbeit hatte, waren die anderen neidisch, aber jetzt können wir uns nicht einmal mehr gebrauchte Kleidung leisten." Ein anderer ehemaliger Whirlpool-Mitarbeiter sagt, dass er dazu aufgefordert wurde, im ganzen Land nach Arbeit zu suchen. "Ich rief sogar für einen Job in Bratislava an, aber sie sagten mir: 'Wenn Du ein Roma bist, dann brauchst Du hier gar nicht erst zu erscheinen'", erzählt er.

Die Krise schlägt zu und für die Roma ist es immer schwieriger, gegen andere anzutreten, die auch Arbeit suchen. Die Arbeitnehmer sind viel wählerischer als vor einem oder zwei Jahren, als die Wirtschaft sich noch im Aufschwung befand. In den armen nordöstlichen Teilen Ungarns, wo die Wirtschaftskrise die bereits bestehenden Probleme in Folge des Industrieabbaus nur noch verschlimmert hat, ist Arbeitslosigkeit für Roma zu einem besonders akuten Problem geworden.

Seit dem Kommunismus hat das Land keinen so katastrophalen Wachstumsrückgang verzeichnet. Kein Wunder, dass sich die Ungarn immer mehr der politisch weit rechtsstehenden Partei Jobbik zuwenden, die den Zigeunern an der steigenden Kriminalitätsrate die Schuld gibt. In den letzten Monaten wurden mehrere Siedlungen der Roma angegriffen. Einige von ihnen wurden sogar ermordet.

Ottawa führt Visa für tschechische Roma ein

Rumänien, wo die Zigeuner viel zahlreicher und besser integriert sind, hat von den gewalttätigen Konflikten, wie sie in Ungarn vorgefallen sind, im vergangenen Jahr nicht viel abbekommen. Jedoch wird man es hier mit einer ausgewachsenen sozialen Krise zu tun bekommen, wenn die vereinzelten Rumänen, die aus Italien und Spanien zurückkommen, schon bald in Strömen eintreffen werden, wenn die Bauindustrie in Südeuropa auch den Bach runter geht. In der Tschechischen Republik ist die Einstellung Zigeunern gegenüber so vergiftet, dass hunderte Roma in Kanada Zuflucht beantragt haben, was Ottawa wiederum veranlasst hat, für tschechische Zigeuner wieder die Visapflicht einzuführen.

Die Region versucht verbissen, sich aus der unerwartet harten Wirtschaftsflaute herauszuziehen. Vermutlich wird ein bisschen Zeit vergehen müssen, bevor einem der Roma-Kollegen von Herrn Sahi es gelingen wird, der Armut zu entrinnen. Dass er 2003 Arbeit gefunden hat, ermöglichte ihm die Flucht aus Lunix IX, einer grauenvollen Wohnsiedlung im Vorort von Kosice. "Ich hatte nie zuvor einen Job", sagt er. "Als ich zum ersten Mal meinen Gehaltsscheck erhielt, bin ich mit meinen Kindern Spielzeug kaufen gegangen. Da habe ich dann begriffen, was für ein Glück es ist, einen Job zu haben."

SLOWAKEI

Kalte Dusche für Roma-Gegner

SME 06-08-09In Šarišské Michaľany musste die Polizei massiv einschreiten, um die Demonstrationen gegen Roma auseinanderzutreiben. Mehr als 200 Rechtsextremisten trafen sich am 8. August in der kleinen Stadt im Osten des Landes, um gegen den "Zigeunerterror" zu demonstrieren, den für sie die Roma-Gemeinschaft darstellt, die sich dort niedergelassen hat. "Von Wasserkanonen beschützte Roma", berichtet SME auf ihrem Titel. Der slowakischen Tageszeitung zufolge haben die Extremisten die Schlacht gegen die Polizei zwar verloren, aber die Unterstützung eines Teils der Bewohner der Stadt gewonnen. Auch bestätige die Demonstration die Meinung der Mehrheit der Slowaken: "Zigeuner wollen nicht arbeiten, sie stehlen und töten". In dem sie dieses heikle Problem vernachlässigen, tun die slowakischen Politiker nicht das Geringste, um diese Meinung zu bekämpfen, urteilt SME.

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