José Saramago und seine Frau, Pilar del Río, auf Portugals Straßen.

Im Elefantenschritt

Mit einer kleinen Gruppe Enthusiasten begibt sich der Literatur-Nobelpreisträger per Minibus auf die Spuren des portugiesischen Teils der Reise, die der dickhäutige Held seines letzten Romans im 16. Jahrhundert von Lissabon nach Wien machte. Bei jeder Etappe wird die entsprechende Passage der Reise des Elefanten vorgelesen. Eine Fahrt mit dem Schriftsteller durch Portugal.

Veröffentlicht am 11 August 2009 um 14:08
José Saramago und seine Frau, Pilar del Río, auf Portugals Straßen.

Begeben wir uns auf den Weg von Salomão [Salomon], der Hauptfigur des letzten Romans von José Saramago "A viagem do elefante" ["Die Reise des Elefanten", demnächst bei Rowohlt]. An einem Juni-Morgen auf der Praça de Londres in Lissabon nehmen 14 Personen in einem schattig geparkten Minibus neben dem Haus des portugiesischen Literatur-Nobelpreisträgers Platz. Unter den letzten, die einsteigen, sind José Saramago und seine Frau Pilar del Río, Präsidentin der Stiftung Saramago. Sie hat das Projekt ins Leben gerufen.

Schon nach den ersten Worten, die Pilar vor der Gruppe spricht und während sich das Fahrzeug in Richtung Belem, dem offiziellen Startpunkt unserer Reise, in Bewegung setzt, begreifen wir, dass wir uns auf ein noch nie da gewesenes Abenteuer eingelassen haben. So wie sich manche auf den Weg des Heiligen Jakobus nach Compostella oder auf den des Don Quichotte begeben, "werden wir die Pioniere des Weges von Salomão sein", lautet die Devise. "Wir wissen nicht, was uns erwartet," warnt Pilar, bevor ihr Mann widerspricht: "Ich versichere Ihnen, dass sie wundervolle Dinge erleben werden."

Da keine Archive über die tatsächliche Reise existieren, hat der Schriftsteller in seinem Roman die Etappen der portugiesischen Reise des Elefanten Salomão nicht namentlich erwähnt und somit eine gewollte mystische Stimmung auf seinen Seiten geschaffen. Das Buch präzisiert nur zwei Orte - Abfahrt und Ankunft.

Eines schönen Tages von Belem nach Wien

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Auf Initiative von Katharina von Kastilien, der Frau von König Johannes III. von Portugal, wurde Salomão als Hochzeitsgeschenk an ihren Cousin Maximilian von Österreich übersandt und musste so eines schönen Tages sein Zuhause in Belem in Richtung Wien verlassen und übertrat die Grenze zu Spanien in Figueira de Castelo Rodrigo.

"Der Elefant mochte was er sah […], selbst wenn die Reiseroute, die wir ausgesucht hatten, zu keiner Zeit mit jener übereinstimmte, die er peinlichst in seinem Elefantengedächtnis bewahrte" .* So beginnt der Text, den Saramago auf seinem Blog "O Caderno de Saramago" [Die Notizen von Saramago] veröffentlicht hat. Er endet mit dem "Fazit dieser Reise": "Man sollte unsere historischen Dörfer nicht außer Acht lassen, denn sie sind sehr lebendig."* Sie durch eine Reiseroute miteinander zu verbinden und somit ihre Wiederauferstehung zu ermöglichen, hat sich die Stiftung José Saramago zum Ziel gesetzt, erklärt Pilar del Río und ergänzt, dass sie bereits Kontakt zum Kulturministerium aufgenommen hat und auch bald mit dem portugiesischen Ministerpräsidenten Gespräche zu führen hofft.

Vor dem Hieronymiten-Kloster in Belem bat uns Saramago, "unserer Phantasie freien Lauf zu lassen", um uns vorzustellen, wie dieser Ort im 16. Jahrhundert ausgesehen haben könnte. Wahrscheinlich ähnelte er einem von Fliegen übersätem Schlammloch, wo der Elefant nicht weit vom Wasser [vom Tage] zusammen mit seinem Elefantenführer in einem Gehege gehalten wurde. Als wir in Constância über die Brücke der Zêzere ankommen, scheint sich dagegen das Ereignis, das uns Pilar beschreibt, vor unseren Augen abzuspielen. "Zwangsläufig hat sich hier Salomão gebadet, hat herumgetollt, sich im Wasser gewälzt… Elefanten lieben Wasser."

Constância ist unsere erste Etappe. Schon kurz nach dem Öffnen der Minibustüren schlägt uns heiße Luft entgegen, so dass wir uns wie der Elefant am liebsten in den Zêzere oder den Tage gestürzt hätten. Zwei Flüsse die, wie Saramago später in seinem Blog schreiben wird, hier wie in einer "Umarmung" zusammenlaufen und die Camões tausende von Malen von dem Fenster seines Wohnhauses aus betrachtet habe.

Gaderobe aus Füßen

Während der zu seinen Ehren im Rathaus organisierten Feier erklärt Saramago, dass er durch die skandalöse Behandlung des Elefanten nach seinem Tod (etwa zwei Jahre nach seiner Ankunft in Wien, er konnte dem harten Winter in Österreich nicht standhalten) dazu animiert wurde, die wahre Geschichte des Elefanten zu erzählen. "Nach seinem Tod hat man ihm die Füße abgeschnitten, um daraus Garderobe-Haken zu machen. Das ist unwürdig eines Elefanten, der diesen ganzen Weg über die Alpen gemacht hat…" Das Publikum ist gerührt, ebenso, als es eine spezielle Lesung vom Autor selbst erleben darf: einen der Erde gewidmeten Ausschnitt aus seinem "Viagem a Portugal" [Die portugiesische Reise (Rowohlt Verlag, 2003)], von dem einer der Direktoren des Casa de Camoes ein Exemplar mitbrachte und das Pilar an ihren Mann weiterreichte.

Nach Constância geht es zur nächsten Etappe: "Castelo Novo gehört zu den berührendsten Erinnerungen des Reisenden"*, schreibt dort Saramago. Die Stadt mag zwar sehr klein sein, sie ruft dennoch eine Art von Verwirrung hervor, die den Schriftsteller zu irritieren beginnt. Während wir uns auf einem großen Platz mit einem Brunnen befinden, wo die Menschen ihren Durst stillen, schwört uns Saramago, dass hier nicht der Praça dos Paços do Concelho mit seinem Pranger und seinem von König Johann V. erbauten Brunnenbecken sei, den er uns unbedingt zeigen wollte. "Glauben sie, dass ich soviel darüber geschrieben hätte, wenn es sich um diesen Platz handeln würde", wehrt er sich und beruft sich auf seine Reisen vor 30 Jahren. Ganz in der Nähe des Prangers, den wir schließlich gefunden haben, hören wir einen weiteren Auszug aus den Zeilen, die der Literatur-Nobelpreisträger vor so langer Zeit geschrieben hat.

Am Ende des Tages sind wir in Figueira de Castelo Rodrigo angelangt, am Fuße des Schlosses Rodrigo, dem vom Autor gewählten Schauplatz, um Abschied zu nehmen von Salomão, bevor er in spanisches Gebiet eintritt und seine Reise in Richtung Valladolid fortsetzt. Seltsamer Zufall: genauso wie Salomão setzt Saramago seine Reise bis Valladolid fort, um dort einen Vortrag zu halten. Der Schriftsteller bricht zufrieden auf und verkündet, dass der Elefant nun eine eigene Existenz habe, indem er zum Glied einer Kette oder eines Weges geworden sei, der historische Dörfer und Städte Portugals miteinander verbindet.

"Wir Menschen sind noch nicht völlig verloren. Vielleicht können wir uns sogar wieder finden." *Sollte die ganze Reise ein rein poetisches Unterfangen sein? Zum Teil ja, aber nicht nur.

* Übersetzung: Presseurop

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