EZB-Chef Jean-Claude Trichet bei einer Pressekonferenz in Paris, Dezember 2010

Euro – ein rechter Traum platzt

Während die Existenz des Euro in Frage gestellt wird, erinnert ein amerikanischer Wirtschaftsexperte an den grundlegenden Unterschied zwischen der Einheitswährung und der Europäischen Union: Erstere ist das Resultat einer sehr rechtslastigen Politik, zweitere entstammt einem tief solidarischen Projekt. Der Tod der einen ist nicht gleichbedeutend mit dem Tod der anderen.

Veröffentlicht am 13 Juli 2011 um 14:34
EZB-Chef Jean-Claude Trichet bei einer Pressekonferenz in Paris, Dezember 2010

Der Euro stürzt im Vergleich zum Schweizer Franken auf Tiefststände und die Zinssätze für italienische und spanische Anleihen haben Rekordhöhen erreicht. Dieses neueste Kapitel in der Krise der Eurozone resultiert aus den Befürchtungen, die Ansteckung habe nun auf Italien übergegriffen. Mit einer Zwei-Billionen-Dollar-Wirtschaft [1400 Milliarden Euro] und 2,45 Billionen Dollar Schulden [1700 Milliarden Euro] ist Italien zum Scheitern zu groß und die europäischen Behörden sind besorgt.

Obwohl es derzeit wenig Grund zu der Annahme gibt, Italiens Zinssätze könnten hoch genug steigen, um seine Bonität zu gefährden, reagieren die Finanzmärkte irrational und überhöhen sowohl die Ängste als auch die Aussichten auf eine sich selbst bewahrheitende Prophezeiung. Die Tatsache, dass die europäischen Behörden sich nicht einmal darauf einigen können, wie sie mit den Schulden Griechenlands verfahren sollen – eines Landes, dessen Wirtschaft nicht einmal ein Sechstel der Wirtschaft Italiens ausmacht –, verheißt nichts Gutes für ihre Fähigkeit zur Bewältigung einer größeren Krise.

Die EU kann ohne Eurozone gedeihen

Die schwächeren Länder der Eurozone – Griechenland, Portugal, Irland und Spanien – sehen bereits der Perspektive einer jahrelangen wirtschaftlichen Sanktion entgegen, wozu auch extrem hohe Arbeitslosenzahlen gehören (jeweils 16, 12, 14 bzw. 21 Prozent). Da all diese selbst auferlegte Misere darauf abzielt, den Euro zu retten, ist die Frage berechtigt, ob der Euro die Rettung überhaupt wert ist. Und es ist berechtigt, diese Frage aus der Sicht der meisten Europäer zu stellen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten – das heißt, aus einer progressiven Sicht.

Es heißt oft, die Währungsunion – zu der heute 17 Länder gehören – müsse um des europäischen Projekts willen aufrechterhalten werden. Zu letzterem gehören so achtbare Ideale wie die europäische Solidarität, der Aufbau gemeinsamer Standards für Menschenrechte und die soziale Eingliederung, die Kontrolle über den rechten Nationalismus und natürlich die wirtschaftliche und politische Integration, die einem solchen Fortschritt zugrunde liegt.

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Doch dabei wird die Währungsunion, oder Eurozone, mit der Europäischen Union selbst verwechselt. Dänemark, Schweden und Großbritannien zum Beispiel gehören zwar zur EU, aber nicht zur Währungsunion. Es besteht kein Grund, warum das europäische Projekt ohne den Euro nicht vorankommen und die EU nicht gedeihen könnte.

Ein eindeutig rechtslastiges Projekt

Und es besteht sehr wohl Grund, genau darauf zu hoffen. Das Problem liegt darin, dass die Währungsunion, im Gegensatz zur EU selbst, ein eindeutig rechtslastiges Projekt ist. Das war vielleicht nicht von Anfang an deutlich, doch heute sollte es schmerzvoll klar sein, da die schwächeren Staaten der Eurozone Strafen unterzogen werden, die früher Ländern der niedrigen und mittleren Einkommensstufe vorbehalten waren, die in den Griff des Internationalen Währungsfonds (IWF) und seiner G7-Gouverneure geraten waren. Anstatt zu versuchen, durch steuerliche oder monetäre Anreize der Rezession zu entkommen, wie es die meisten Regierungen der Welt im Jahr 2009 getan haben, werden diese Regierungen zum Gegenteil gezwungen, und zahlen einen enormen sozialen Preis dafür.

Und es wird noch schlimmer gemacht: die Privatisierungen in Griechenland oder die „Arbeitsmarktreform“ in Spanien, die regressiven Auswirkungen der getroffenen Maßnahmen auf die Verteilung von Einkommen und Reichtum, das Zusammenschrumpfen und die Schwächung des Wohlfahrtsstaats, während den Banken auf Kosten der Steuerzahler aus der Patsche geholfen wird – all das tut die deutlich rechtsgerichteten Absichten der europäischen Behörden kund, sowie ihren Versuch, die Krise zur Einführung rechtslastiger politischer Änderungen zu nutzen.

Die Rechtslastigkeit der Währungsunion war von Anfang an institutionalisiert worden. Gegen die Regeln, die die Staatsverschuldung auf 60 Prozent des BIP und das jährliche Haushaltsdefizit auf drei Prozent des BIP begrenzen, wird in der Praxis verstoßen, sie sind jedoch unnötig restriktiv in Zeiten der Rezession und der hohen Arbeitslosigkeit. Der Auftrag der Europäischen Zentralbank, sich nur um die Inflation und überhaupt nicht um die Situation des Arbeitsmarktes zu kümmern, ist ein weiterer bedrohlicher Indikator. Die US Federal Reserve etwa ist zwar eine konservative Institution, doch sie ist zumindest gesetzlich dazu verpflichtet, sich sowohl mit der Arbeitslosigkeit als auch mit der Inflation zu beschäftigen.

Weiter hat sich die Fed – so unfähig sie auch war, eine 8-Billionen-Dollar Immobilienblase [5600 Milliarden Euro] zu erkennen, die die US-Wirtschaft zum Absturz gebracht hat – angesichts der Rezession und eines schwachen Aufschwungs als flexibel erwiesen und als Teil einer expansionistischen Geldmarktpolitik über zwei Billionen Dollar [1400 Milliarden Euro] erzeugt. Im Vergleich dazu haben die Extremisten an der Spitze der EZB seit April die Zinssätze erhöht, obwohl die Arbeitslosigkeit in den schwächeren Ländern der Eurozone auf Krisenniveau stand.

Manche Wirtschaftsexperten und politische Beobachter sind der Meinung, die Eurozone brauche eine finanzielle Union mit einer stärker koordinierten Haushaltspolitik, damit sie funktionieren kann. Doch eine rechte Finanzpolitik ist kontraproduktiv, wie wir sehen, sogar mit einer besseren Koordination. Andere Wirtschaftsexperten – der Autor inbegriffen – bringen vor, dass die großen Unterschiede in der Produktivität der Mitgliedsstaaten für eine Währungsunion ernsthafte Schwierigkeiten aufwerfen. Doch selbst wenn diese Probleme überwunden werden könnten, wäre die Eurozone die Mühe nicht wert, wenn sie ein rechtsgerichtetes Projekt ist.

Wer dagegen ist, ist „rückständig“

Vor der Eurozone war die wirtschaftliche Integration in Europa anders. Die Europäische Union bemühte sich, die Niedriglohnländer nach oben zu ziehen und die Anfälligen zu schützen. Doch die europäischen Behörden haben sich in ihrer Währungsunion als skrupellos erwiesen.

Der Gedanke, der Euro müsse um der europäischen Solidarität willen gerettet werden, spielt auch mit einer allzu vereinfachten Vorstellung des Widerstands, den die Steuerzahler in Ländern wie Deutschland, den Niederlanden und Finnland bewiesen, als es darum ging, Griechenland zu „retten“. Es ist zwar nicht zu leugnen, dass ein Teil dieses Widerstands auf nationalistischen – oft durch die Massenmedien entzündeten – Vorurteilen beruht, doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Vielen Europäern missfällt es, dass sie für die Rettung der europäischen Banken, die faule Kredite gegeben haben, die Rechnung zahlen müssen. Und die EU-Behörden „helfen“ Griechenland nicht, ebenso wenig wie die USA und die NATO Afghanistan „helfen“ – um eine etwas analoge Auseinandersetzung zu nennen, bei welcher diejenigen, die sich destruktiven Strategien entgegensetzen, als „rückständig“ und „isolationistisch“ bezeichnet werden.

Allem Anschein nach versteht ein großer Teil der europäischen Linken die Rechtslastigkeit der Institutionen, Behörden und vor allem der makroökonomischen Strategien nicht, mit denen sie in der Eurozone konfrontiert sind. Dies gehört zu einem allgemeineren Problem mit dem öffentlichen Missverständnis der makroökonomischen Strategien weltweit, die es rechtsgerichteten Zentralbanken erlaubt haben, destruktive Strategien durchzuführen, manchmal sogar unter linken Regierungen. Diese Missverständnisse, zusammen mit dem Mangel an demokratischem Einsatz, könnten dazu beitragen, das Paradox zu erklären, warum es in Europa derzeit mehr rechtsgerichtete makroökonomische Strategien gibt als in den Vereinigten Staaten, obwohl es doch viel stärkere Gewerkschaften und andere institutionelle Grundlagen für eine progressivere Wirtschaftspolitik besitzt.

Aus dem Englischen von Patricia Lux-Martel

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