Einer von Europas größten Fischmärkten - Grimsby, in Lincolnshire, England

Weder Fisch noch Fleisch

Die EU will ihre Fischereipolitik überarbeiten, um das Aussterben der Fische zu stoppen. Doch das Gewicht der internationalen Lobbys und die Kurzsichtigkeit mancher Mitgliedsstaaten machen das zu einer schweren Aufgabe.

Veröffentlicht am 14 Juli 2011 um 16:00
Einer von Europas größten Fischmärkten - Grimsby, in Lincolnshire, England

Wenn wir nur den Fisch hätten, der in den britischen Hoheitsgewässern gefangen wird, dann würde er uns bis nächstes Wochenende schon ausgehen. Der nördliche Atlantik war einmal eines der produktivsten Hochseegebiete der Welt. Heute muss Europa, obwohl es eine der weltweit größten Fischereiflotten besitzt, zwei Drittel des konsumierten Fischs importieren. Statt einer Rekordproduktion haben wir eine Rekordüberfischung, die drei Viertel der europäischen Fischbestände beeinträchtigt.

In einer Welt, die immer mehr nach Proteinen und dabei vor allem nach dem gesunden Fischfleisch hungert, ist das allein schon Verbrechen genug. Aber wir zahlen auch einen Haufen Geld für das Privileg, diese Misswirtschaft erdulden zu müssen. Gäbe es die Subventionen der Steuerzahler nicht, dann würden große Teile der europäischen Fischereiindustrie zusammenbrechen. Damit sie sich über Wasser halten kann, zahlen wir jedes Jahr eine Milliarde Euro, wovon die Hälfte an Spanien geht.

Das könnte alles ganz anders sein. In einer perfekten Welt würde Europa seinen Fisch nutzen und Geld verdienen, indem es große Fänge einer gesunden Industrie besteuert. Die europäischen Gewässer sähen dann aus wie die um Amerika, Neuseeland und Australien, wo die Fangquoten auf verlässlichen wissenschaftlichen Daten basieren und somit Bestände und Gewinne in die Höhe schießen lassen.

Das Paradies ist erreichbar

Dr. Rainer Froese vom [Kieler] Leibniz-Institut für Meereswissenschaften hat ausgerechnet, dass – würde Europa dieselben wissenschaftlichen Prinzipien befolgen – sich innerhalb von vier oder fünf Jahren die Gewinne verdreifachen, die Bestände vervierfachen und die Fänge um 60 Prozent zunehmen würden. Manche Fischarten würden sich schneller erholen, andere gar nicht, aber selbst in einer so kurzen Zeit, so sagt er, „ist das Paradies erreichbar“.

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Zum Glück besitzt Europa in Maria Damanaki eine progressive Fischereikommissarin, die auf der Seite der Engel – und der Fische – steht. Damanaki versteht, dass es zu ihrem Job gehört, sich um die Fischbestände zu sorgen, die dann die Fischer ernähren. Ihre Vorgänger scheinen gedacht zu haben, es sei umgekehrt.

Gestern war ihr Auftritt, bei welchem sie den Tod der verschrienen Gemeinsamen Fischereipolitik, die uns in so einen Schlamassel gebracht hat, und die Eröffnung einer Ära der Erleuchtung ankündigte. Sie drückte sich klipp und klar aus: „Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher. Wir brauchen Änderung.“

Leider werden wir sie nicht bekommen.

Trotz ein paar positiver Signale offenbarte ihre Ansprache, dass es ihr nicht gelungen ist, die wahren Schuldigen für unsere verzweifelte Lage – die Minister des EU-Fischereirats und ihre geschickten Komplizen, die Lobbyisten der Fischereiindustrie – zu besiegen.

Zu den positiven Punkten gehört, dass manche Arten unter die Aufsicht langfristiger Befischungspläne gestellt und somit der Reichweite der Minister entzogen werden sollen. Und das Europäische Parlament hat nun erstmals ein gleichwertiges Mitspracherecht bei jeder Reform, was der Bevölkerung einen größeren Einfluss ermöglicht. Wie der Starkoch Hugh Fearnley-Whittingstall gezeigt hat, kann öffentlicher Druck einen Unterschied bewirken. Es ist größtenteils seiner Kampagne „Hugh’s Fish Fight“ zu verdanken, dass der Rückwurf von absolut essbarem Fisch verboten werden soll – heute werden 1,3 Millionen Tonnen Fisch allein in den nördlichen Atlantik zurückgeschmissen.

Aber das Plündern geht weiter

Europa bezahlt bereits Wissenschaftler, die ausrechnen, wie viel Fisch gefangen werden kann, ohne die Bestände zu schmälern. Die tatsächlichen Fänge müssen allerdings nur ganz knapp über diesen Kurven liegen. Wenn wir eine Sicherheitsmarge dazugeben, bevor wir die Gesamtfangquoten festlegen, dann könnten unsere Meere gesund sein.

Doch nichts in [Damanakis] Reformvorschlag verpflichtet dazu, sich in der Zukunft an wissenschaftliche Ratschläge zu halten. Statt dessen war die gestrige Erklärung das beste, was sie tun konnte, um gegen die unbeugsame Opposition weiterzukommen. Und weitere Abschwächungen sind wahrscheinlich.

Es sieht also so aus, als würde es mit dem Plündern weitergehen. Damanaki versichert uns, die europäischen Fische seien eine öffentliche Ressource, doch die wichtigsten Entscheidungen über diese Fische werden hinter verschlossenen Türen von Fischereiministern getroffen, die darauf bestehen, die Wissenschaft zugunsten von kurzfristigen Kapitalinteressen zu ignorieren. Die Sitzungsprotokolle und die Details der Abstimmungen werden nie veröffentlicht.

Der britische Fischereiminister Richard Benyon erklärt, er hätte nichts dagegen, wenn man ihm das Stimmrecht über unhaltbare Fangquoten entziehen würde, doch scheinbar ist das bei vielen seine Ministerkollegen nicht der Fall. Demzufolge wurde eine wichtige Gelegenheit für entscheidende Reformen vergeudet und das Missmanagement wird voraussichtlich wie gewohnt weiter gehen.

Aus dem Englischen von Patricia Lux-Martel

Aus Spanien

Umstrittene Maßnahmen

„EU schlägt ‚Big Brother‘ zur Kontrolle der Überfischung vor“, titelt die Tageszeitung El Mundo anlässlich der „radikalen Reform“ der gemeinsamen Fischereipolitik der EU, die EU-Fischereikommissarin Maria Damanaki am 13. Juli in Brüssel vorstellte.

Im Zentrum der Reform, deren Umsetzung für 2013 geplant ist, steht „die Zukunftsfähigkeit der maritimen Ressourcen. Ziel ist es, die Zahl der Fischereifahrzeuge zu reduzieren und eine nachhaltige Aquakultur zu entwickeln“, berichtet die Zeitung. Mit einer der wichtigsten Maßnahmen soll der „Rückwurf unerwünschter Beifänge ins Meer verboten werden, der bis zu 23 Prozent aller Fänge beträgt“. Dafür wird die Kommission von den Staaten verlangen, dass sie „Überwachungskameras auf den Booten installieren“. Dieser Vorschlag sei „der einzige, der die Umweltschützer zufriedenstellt“. Prinzipiell sind sie mit der Reform zwar einverstanden, kritisieren aber die Art und Weise ihrer Umsetzung, berichtet El Mundo.

Eine weitere umstrittene Maßnahme betrifft das neue System der „Konzessionen“, d. h. die Einführung individueller Fangquoten, welche die Fischer weiterverkaufen können, wenn sie ihre Arbeit einstellen. Mit dieser Maßnahme, die nur für Fischkutter und die Boote gelten soll, die länger als 12 Meter sind, soll die Anzahl der Boote verringert werden. El Mundo weist aber auch auf die „wirtschaftlichen Probleme“ hin, die das Ganze mit sich bringt: Vorteile für „die großen Betreiber“ und Nachteile für die handwerkliche Fischerei. Aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung seiner Fischereiindustrie, wird „vor allem Spanien von dieser Reform betroffen sein“ schließt die Tageszeitung.

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