Der Untergang des Silvio Berlusconi


Die plötzliche Schwäche Italiens an der Börse nimmt Berlusconi, der behauptet hatte, seinem Land gehe es gut, jede Glaubwürdigkeit. Nun fehlt vom Cavaliere jede Spur, ganz, als gebe es ihn gar nicht – seine Regierung sieht sich gezwungen, als letzte Rettung ein Sparpaket zu verabschieden, dessen Nutzen absolut nicht sicher ist.


Veröffentlicht am 15 Juli 2011 um 14:39

Jetzt muss jemand den Italienern erklären, wie es von heute auf morgen möglich war, dass aus dem „Traumschiff“ Berlusconis auf einmal die „Titanic“ Giulio Tremontis wurde. Jemand muss der verwirrten Öffentlichkeit erklären, wie man innerhalb weniger Stunden von Berlusconis Legende über ein Italien, „das der Krise schon entkommen ist und sie besser überwunden hat als andere“, in das Chaos Tremontis um ein Land stürzen konnte, das aufgrund seiner Staatsschuld „unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder zu verschlingen droht“.

Zwischen diesem Abgrund aus politischen Widersprüchen und verzerrter Darstellung durch die Medien liegt das Scheitern einer Regierung, die drei Jahre lang das Offensichtliche nicht wahrhaben wollte und jetzt brutal von der Krise überwältigt wird. Die irritierten Bürger werden zur Kasse gebeten, doch niemand hat ihnen die Gründe für diese verheerende Panne erklärt, und niemand wird es tun. Ganz bestimmt nicht der einzige Urheber dieses kolossalen Betrugs, nämlich der Ministerpräsident – il Cavaliere Inesistente, wie der italienische Titel von Italo Calvinos Roman lautet, der Cavaliere, den es nie gab, der nicht existiert – seit einer Woche hört und sieht man nichts von ihm.

Italien wird zum zweiten „I“ im Akronym der Stiefkinder

Das Land ist Opfer der Spekulation, die alle Möglichkeiten hat, sofort zuzuschlagen: Einen durch ein nach einem rechtskräftigen Strafurteil gefällten Zivilurteil als „Bestecher“ gebrandmarkten Premierminister, eine von internen Konflikten zerrissene Regierung und eine Reihe von Ministern, gegen die Prozessanträge wegen mafiöser Tätigkeiten vorliegen oder die in Geschäftsskandalen interne Kämpfe im Staatsapparat verwickelt sind. Unter diesen Bedingungen wird Italien zum zweiten „I“ im Akronym der Stiefkinder der Eurozone: Wir sind „Piigs“, gemeinsam mit Portugal, Irland, Griechenland und Spanien. Berlusconi schweigt. Es heißt, er sei beschäftigt mit der Organisation seines nächsten Urlaubs auf Antigua. Vom Schlächter des Global Village zum Animateur im Feriendorf, wie schon im glühenden Sommer des Jahres 2006.

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Die ohrenbetäubende Stille wird durch eine ausdrückliche Notmaßnahme überbrückt. Auf internationaler Ebene wird Italien von Merkel und [Ben] Bernanke ermutigt, nicht von seiner Sparpolitik abzurücken. Intern ergattern der italienische Präsident und der Notenbankgouverneur ein letztes Quäntchen jenes nationalen Zusammenhaltes, der zur Durchsetzung zumindest dieses Sparpaketes notwendig ist. Wirtschaftsminister Tremonti lässt im Senat über den „Maxi-Beschluss“ als letzten Rettungsanker abstimmen, sofort anzunehmen, denn die Märkte holen zum letzten Gegenstoß aus.

Blitz-Sparpaket mit enormen sozialen Kosten

Tremonti hält eine düstere Rede, spricht von „Stunde der unwiderruflichen Entscheidungen“, beschwört das apokalyptische Szenarium eines Europas auf, das „einen Termin mit dem Schicksal“ hat, wissend, dass „Rettung nicht durch die Finanzen, sondern aus der Politik kommt“ und dass „die Politik keine Fehler begehen darf“. Doch auch er rechtfertigt oder entschuldigt sich mit keinem Wort für all die riesigen Fehler, die diese Regierung seit ihrem triumphalen Wahlsieg im Jahr 2008 begangen hat. Nicht eine Entschuldigung, nur ein bedrückter Appell, die Kräfte zu bündeln, weil „das Land uns beobachtet“ – und zwar Regierung und Opposition.

Diesem Appell ist Folge zu leisten. Niemand möchte, dass Italien dasselbe Schicksal ereilt wie Griechenland, dass es sich selbst und die gesamte Währungsunion in den Abgrund stürzt. Niemand hofft, dass Berlusconis Fall zu einem Schauspiel wird, das jeden Preis wert ist, auch den Staatsbankrott. Daher muss das Blitz-Sparpaket durchgedrückt werden. Doch es verursacht enorme soziale Kosten, und Schaden nehmen wieder einmal die Schwächeren. Der immer größere und wehrlose Mittelstand muss Rezeptgebühren, die Blockade der Verträge im öffentlichen Dienst und die Reduzierung der Lehrstellen an den Schulen in Kauf nehmen, ein scharfer Hieb wird voraussichtlich auch bei den Steuerabschreibungen für Ehepartner und Kinder folgen. Steuerlich bedeutet das allein aufgrund der Auswirkungen auf die Einkommenssteuer beträchtliche Einbußen von etwa 500 Euro pro Haushalt.

Die offene Rechnung, des „Cavaliere Inesistente“

Auch das Mitte-Links-Bündnis muss wider Willen hinnehmen, dass das Sparpaket so, wie es ist, durchgeht. Mit all seinen Ungerechtigkeiten, die nicht nur den Geldbeutel der Steuerzahler, sondern auch das Urteil der Märkte belasten. Dieses Sparpaket in der Höhe von 40, 49 oder 65 Milliarden, wie viele es auch immer sein mögen, wird vielleicht nicht reichen, um die Welle der Spekulation zu stoppen. Die scheinbare Ruhe der letzten Tage ist zu Ende. Die Börse macht wieder Verluste, die Bankaktien fallen wieder, der Spread zwischen den italienischen und deutschen Anleihen liegt erneut bei mehr als 300 Prozentpunkten, beim Verkauf der BTPs ist die „Risikoprämie“ für Investitionen in Italien seit der Euro-Einführung noch nie so hoch gewesen. Ein Zeichen dafür, dass die „Rettung“ nicht ausreicht, weil sie trotz allem weder in der Sanierungs- noch in der Wachstumspolitik glaubwürdig erscheint. Der Haushaltsausgleich darf nicht allein hehres Ziel sein, sondern muss mit Taten, nicht ausschließlich mit leeren Worten verfolgt werden. Doch dieses Sparpaket gibt uns nicht genug Sicherheit.

Das also ist die offene Rechnung, die der „Cavaliere Inesistente“ am Krisentisch hinterlässt. Ohne mit der Wimper zu zucken, ohne Buße zu zahlen. Daran mögen sich die Italiener erinnern, wenn sie beim Arzt zur Kasse gebeten werden oder die Gebühren für die Staatsschuldscheine zahlen. Ganz besonders in der Vertrautheit ihrer Wahlzelle bei den nächsten Wahlen. Unter diesen Umständen hoffen wir, dass diese so bald wie möglich kommen; vielleicht schaffen wir es ja nach diesem plötzlichen Schiffbruch noch rechtzeitig von der sinkenden Titanic.

Aus dem Italienischen von Salka Klos

Analyse

Noch ist Sturm ist nicht vorbei

„Machen wir uns nichts vor“, meint der Corriere della Sera, „die Finanzmärkte sind noch nicht befriedet“, trotz des am 14. Juli eilig verabschiedeten Sparplans, der den Italienern nicht nur Kopfschmerzen sondern auch Kosten verursachen wird. Die italienischen Abgeordneten haben Sparmaßnahmen in Höhe von 47 Milliarden Euro verabschiedet, um bis 2014 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Hinzu kommt eine Steuerreform, die in den nächsten Wochen dem Parlament vorgelegt werden soll. Insgesamt sollen die Einsparungen sich auf mehr als 60 Milliarden Euro belaufen. Der Plan sieht unter anderem ein Privatisierungsprogramm, Zuzahlungen für Krankenversicherte und einen Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst vor. Auch die Renten sind betroffen. Laut Plan soll eine Erhöhung des Rentenalters ab 2013 verabschiedet werden. Die Maßnahmen sollen bis 2014, „bis zum Ende der Amtszeit der aktuellen Regierung“, umgesetzt werden, betont die Tageszeitung und meint, dass die zur Konjunkturbelebung beschlossenen Privatisierungen eher improvisiert als überlegt erscheinen.

„Die Erfahrungen aus anderen Finanzkrisen zeigen, dass Mitte August gewöhnlich ein günstiger Zeitpunkt für spekulative Attacken ist. Der Regierung bleibt also wenig Zeit, um diese zu verhindern. Und die einzige Möglichkeit ist, glaubwürdige Reformen in die Wege zu leiten“, schreibt der Corriere mit Sorge.

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