Ungläubig. Artikel der französisch-norwegischen Richterin Eva Joly, erschienen in Le Monde, mit anderen Artikel ausgestellt in Reykjavik, August 2009. (Adman_as)

Ausgepresst

Werden Island und Lettland die Auslandsschulden abtragen können, die eine eher dünne Schicht ihrer Bevölkerung auflaufen ließ? Die Empfehlungen der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF) gehen dahin, private Schulden durch öffentliche Schuldverschreibungen zu ersetzen und zur Rückzahlung dann die Steuern zu erhöhen, die öffentlichen Ausgaben drastisch zu kürzen und die Bürger dazu anzuhalten, ihre Ersparnisse aufzubrauchen.

Veröffentlicht am 17 August 2009 um 15:44
Ungläubig. Artikel der französisch-norwegischen Richterin Eva Joly, erschienen in Le Monde, mit anderen Artikel ausgestellt in Reykjavik, August 2009. (Adman_as)

Der Unmut wird immer deutlicher, und zwar nicht nur gegenüber denjenigen, die für die Schulden verantwortlich sind – Islands bankrotte Kaupthing Bank, die Landsbanki mit ihren Icesave-Konten, sowie Grundeigentümer im Baltikum und in Mitteleuropa –, sondern auch gegenüber den ausländischen Ratgebern und Gläubigern, die auf beide Regierungen Druck ausüben, damit sie die Banken und die öffentlichen Unternehmen an Insider abstoßen. Nur ein gutes Drittel der isländischen Bevölkerung unterstützt noch den Gedanken eines Beitritts zur EU, während Lettlands zentristische Partei der Harmonie – seit der Unabhängigkeit die erste Partei, die auch einen breiten Teil der russischsprachigen Bevölkerung einschließt – in Riga eine Mehrheit erzielte und auf dem besten Weg ist, die beliebteste nationale Partei zu werden. Allgemeine Protestkundgebungen in beiden Ländern lösten zunehmenden politischen Druck aus, damit die Schuldenlast auf eine vernünftige Zahlungskapazität begrenzt würde.

Dieser politische Druck spitzte sich im Reykjaviker Parlament am Wochenende zu. Das Althing stimmte einer Abmachung zu, die am Montag offiziell bekannt gegeben werden sollte. Sie besagt, dass die Zahlungen an Großbritannien und die Niederlande stark gedrosselt werden sollen, als Ausgleich für die Summen, die benötigt werden, um den Icesave-Einlegern in diesen beiden Ländern aus der Klemme zu helfen.

Soweit ich weiß, ist dieses Abkommen seit den 1920er Jahren das erste, das eine Auslandsschuld der Zahlungsfähigkeit des Landes unterwirft. Islands Zahlungen werden auf ein sechs Prozent über dem Bruttoinlandsprodukt von 2008 liegendes Wachstum begrenzt. Wenn die Gläubiger auf die Sparpolitik der isländischen Wirtschaft vertrauen, dann wird es kein Wachstum geben und sie werden auch nicht bezahlt.

Es gibt eine Grenze, wie viel an Auslandszahlungen wirtschaftlich vertretbar ist. Höhere Inlandssteuern bedeuten nicht, dass eine Regierung diese Einkünfte in Devisen verwandeln kann. Dies spiegelt sich in Islands Stellungnahme zu seinen Icesave-Schulden wider – die auf die Hälfte des gesamten Bruttoinlandsprodukts geschätzt werden.

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Werden Großbritannien und die Niederlande Islands Bedingungen annehmen? Der Versuch, mehr Schuldendienst herauszuquetschen als ein Land zahlen kann, erfordert ein repressives, extrahierendes Steuer- und Finanzregime, so warnte Keynes, das wiederum zu einer nationalistischen politischen Reaktion führt, um sich von den Forderungen des Gläubigerstaats zu befreien.

Ein pragmatisches Wirtschaftsprinzip ist hier im Einsatz: Eine Schuld, die nicht abbezahlt werden kann, wird auch nicht abbezahlt. Die Frage, die offen bleibt, ist nur, auf welche Weise diese Schuld nicht abbezahlt wird. Wird ein großer Teil davon abgeschrieben? Oder werden Island, Lettland und andere Schuldner auf Sparkurs gestellt, in dem Versuch, einen ökonomischen Überschuss herauszupressen, um Versäumnisse zu vermeiden.

Letzteres könnte schuldenbeladenen Staaten eine neue Richtung weisen. Eva Joly, die französische Staatsanwältin, die Islands Bankkrise auseinanderklamüsern soll, wies diesen Monat darauf hin, dass Island wenig übrig bleibt außer seinen Rohstoffen und seiner strategischen Lage: "Russland könnte letztere zum Beispiel sehr wohl attraktiv finden." In den postsowjetischen Staaten wenden sich bereits Wähler von Europa ab, als Reaktion auf die destruktiven Methoden, welche die EU unterstützt.

Eine Seite muss nachgeben. Wird die rigide Ideologie der ökonomischen Realität weichen oder umgekehrt?

DEMOGRAPHIE

Auf die Krise folgt der Baby-Boom

Gut neun Monate nach dem Zusammenbruch des isländischen Bankensektors, der die ganze Wirtschaft der Insel in seinem Niedergang mit sich riss, steht Island nun mitten in einem Baby Boom, so berichtet die Financial Times. Die Geburtenrate stieg 2009 um 3,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – und wenn die Isländerinnen diesen Rhythmus beibehalten, könnte das Land die höchsten Geburtenziffern der letzten 50 Jahre verzeichnen. Die Kommentatoren erwägen verschiedene Gründe zur Erklärung des Phänomens, so die FT weiter. Manche meinen, die Familie könne in Zeiten der Krise wieder als sicherer Wert gelten, andere behaupten hingegen, die durch die Arbeitslosigkeit zur Verfügung stehende Zeit biete sich zur Nachwuchszeugung an. Doch alle begrüßen die Geburt der "kreppa babies", der Krisenkinder, als Beweis des Vertrauens der Isländer in die Zukunft.

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