Szene einer Nachbarschaft in Como, Norditalien (MAEDios)

Muslime: harte Zeiten statt Dolce Vita

Kebab, Burkini, Gebet... alles verboten! In ganz Italien werden auf einmal Maßnahmen ergriffen, die von Muslimen als diskriminierend angesehen werden. Bis jetzt waren noch keine Proteste laut geworden, doch manche fangen jetzt an, den Rechtsweg einzuschlagen.

Veröffentlicht am 25 August 2009 um 14:50
Szene einer Nachbarschaft in Como, Norditalien (MAEDios)

Es begann in Varallo Sesia, einer kleinen Stadt in der nordwestlichen Provinz Vercelli: Der Bürgermeister, ein Parlamentarier der Nordliga, beschloss, für Badende mit Burkini, jenem Ganzkörper-Badeanzug für ultra-strenge Musliminnen, ein Bussgeld von 500 Euro einzuführen, und dies nicht nur in den öffentlichen Schwimmbädern sondern auch in natürlichen Gewässern. Hamza Piccardo von der Union der islamischen Gemeinschaften und Organisationen in Italien (UCOII) macht sich da keine Sorgen: "Ein Einspruch, und dann ist es vorbei mit dem Anti-Burkini-Bußgeld."

Das Wort "ricorso" (Einspruch) gehört nun zum Wortschatz der Immigranten, die sich am besten mit italienischen Belangen auskennen. Seit der Affäre um eine junge Marokkanerin, die in einem Schwimmbad in Verona im Burkini badete, wurde der Rummel um die Selbstverteidigung der Muslime noch lauter. Die muslimischen Gemeinschaften sind nun eine neue Front angegangen: die der "Wahrung des Bildes" der religiösen Minderheiten. Mehrere Zivilklagen mit Anspruch auf Berichtigung erwiesen sich bereits als erfolgreich. Und der Gedanke, sich bezüglich "rassistisch" anmutender Verordnungen an das regionale Verwaltungsgericht zu wenden, beginnt sich durchzusetzen. Luca Bauccio, ein mailändischer Rechtsanwalt, der für die UCOII schon rund hundert Zivil- und Strafklagen wegen Angriffen auf den "italienischen Islam" eingereicht hat, wendete sich nun auch an die Mailänder Staatsanwaltschaft. Sein Schreiben wurde an die Antiterrorismus-Abteilung in Mailand weitergeleitet, die zugestand, Muslime seien tatsächlich "oft Diffamierungsopfer". Dieser kurze "gerichtliche" Passus stellt einen zwar kleinen, jedoch nicht unbedeutenden Präzedenzfall dar.

Unterdessen beschloss Nervesa della Battaglia in der Provinz Treviso am Vortag des Ramadan, die bislang als Moschee genutzten Gebäude seien nicht konform. Im April erklärte die Region Lombardei den Kebab-Verkäufern den Krieg: Sie müssen um 1 Uhr morgens schließen, dürfen keine Speisen verkaufen, die auf der Straße verzehrt werden, und die Hygiene- und Sanitärvorkehrungen sind ausnehmend strikt. Im selben Monat suchte auch der Bürgermeister in Mailand einen Weg, Veranstaltungen auf der Piazza del Duomo vor der Kathedrale zu verbieten, nachdem dort einmal ein paar Hundert Muslime gemeinsam in Richtung Mekka gebetet hatten. In Capriate, San Gervasio und Crespi d’Adda (zusammen fast 8.000 Einwohner) in der Provinz Bergamo beschloss der Gemeinderat (mehrheitlich Nordliga-Angehörige), keine Lizenzen mehr für den Verkauf von "Kebab oder ähnlichem" zu vergeben. Das sei doch kein Rassismus, so der Bürgermeister, sondern einfach nur der Wunsch, "das historische Zentrum zu bewahren". Ein Gedanke, der im toskanischen Lucca, dessen historisches Zentrum inmitten unversehrter, herrlicher Festungsmauern liegt, noch eher verständlich ist. Hier ist das Verkaufsverbot von Couscous, Kebab, aber auch von portionierter Pizza seit Anfang des Jahres in Kraft. Auch im nicht ganz so schönen, aber dennoch sehr reizvollen Cittadella Veneta wurden die Kebab-Verkäufer gebeten, sich einen anderen Platz zu suchen.

Ein anderes, fast schon altbekanntes Thema ist die Burka. Obwohl man ihr nur selten auf der Straße begegnet, hat der Bürgermeister von Alassio – einem Badeort an der ligurischen Küste – sie seit letztem Jahr im ganzen Stadtgebiet verboten. Der neue Bürgermeister von Fermignano in den Marken, ebenfalls ein Nordliga-Anhänger, versucht ebenfalls, diese Maßnahme durchzusetzen. Und so kommt es, dass sich manche, wie eben die UCOII, zum Gegenangriff entschieden haben. Im September muss die Werbungsaufsichtsbehörde einen anderen Fall beurteilen: In einer Werbekampagne für ein Selbstverteidigungsspray sieht man die Hand einer weißen Frau einen schwarzhäutigen "Bösewicht" besprühen. Italien wie im Alabama der 60er Jahre.

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Das blühende Geschäft mit dem Ramadan

Die Tageszeitung Le Monde stellt fest, dass sich der französische Einzelhandel heutzutage stärker um seine muslimischen Kunden bemüht und besonderes Augenmerk auf den jährlich wiederkehrenden Termin der Fastenzeit Ramadan legt. Da werden Produkte mit vielsagenden Namen wie "Aroma des Orient" oder "Auf der Gewürzstraße" angeboten. "Auch das Angebot an halal-Produkten wurde in den letzten fünf Jahren deutlich ausgeweitet. Die Großmarktketten Auchan, Leclerc, Super U oder Casino haben jeweils spezielle Abteilungen für die Fastenzeit eingerichtet, doch sie bieten das ganze Jahr über Artikel mit halal-Label an", so le Monde weiter. "Der Ramadan ist ein bedeutender Markt", erklärt man bei Carrefour. "Die Ladenkette bietet schon seit etwa zehn Jahren Produkte für ihre muslimischen Kunden an. Doch seit Kurzem vertreibt der Konzern unter der eigenen, neu entwickelten Marke Reghalal in seinen Low-coast-Geschäften Putenschinken und Geflügelwurst."

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