"Der Zug der Märtyrer" von Aurel Vlad. Foto : Gedenkstätte von Sighet.

Das Gefängnis von Sighet, Mekka des "schwarzen Tourismus"

Hiroshima, Tschernobyl, Ground Zero, Auschwitz… lauter Orte, die Erinnerungen an Massenmorde, Genozide und Katastrophen hervorrufen und die jedes Jahr Millionen von Touristen anziehen. In Rumänien konzentriert sich die Neugier der nach makabren Emotionen heischenden Besucher auf das einstige Gefängnis von Sighet.

Veröffentlicht am 1 September 2009 um 14:33
"Der Zug der Märtyrer" von Aurel Vlad. Foto : Gedenkstätte von Sighet.

Man nennt ihn den "schwarzen Tourismus". Das frappierendste Beispiel ist das des KZ Auschwitz-Birkenau in Polen, das jährlich knapp eine Million Besucher anzieht – und zwar nicht nur Pilgerer. Andere fahren lieber in die Einöde rund um das Atomkraftwerk im ukrainischen Tschernobyl, dessen Reaktor Nummer 4 im Jahr 1986 explodierte. Wieder andere wandern über das Schlachtfeld Culloden Moor in Schottland, wo die vom Herzog von Cumberland, dem so genannten "Schlächter", angeführten englischen Truppen 1746 die Jakobiten niedermetzelten.

Auch Rumänien steht auf der Karte des "schwarzen Tourismus": "Viele Touristen kommen wegen der Dracula-Legende nach Schloss Bran", erklärt Traian Badulescu, Sprecher des rumänischen Verbandes der Reisebüros, und fügt hinzu, dass "eine andere Form des schwarzen Tourismus die Spuren der Revolution von 1989 verfolgt". So wurde die Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus und des antikommunistischen Widerstands von Sighet im Jahr 1993 in den ehemaligen Gebäuden des Gefängnisses von Sighet eingerichtet. In der 1897 unter dem österreich-ungarischen Reich errichteten Strafvollzugsanstalt wurden nach 1918 gemeinrechtliche Verbrecher und zu Beginn des kommunistischen Regimes dann Dissidenten inhaftiert.

"Die Haftanstalt galt als "spezielle Arbeitseinheit", bekannt unter dem Namen "Donaukolonie". Aber in Wirklichkeit war sie ein Ausrottungslager der Elite des Landes", liest man auf der offiziellen Website der Gedenkstätte in Sighet. "Die Häftlinge wurden unter unhygienischen Bedingungen gehalten, schlecht ernährt und daran gehindert, sich tagsüber auf den Eisenbetten der ungeheizten Zellen auszustrecken. Es wurde ihnen verboten, zum Fenster hinaus zu schauen (diejenigen, die sich nicht fügten, wurden gezwungen, in der "Schwarzen Zelle" und der sogenannten Dunkelkammer ("sura") zu sitzen. Später wurden auch noch Fensterläden angebracht, so daß man nur noch den Himmel sehen konnte."

1955 wurden mit dem Beitritt Rumäniens zur UNO manche Häftlinge freigelassen, andere verlegt oder zu Zwangsdomizil verpflichtet und das Gefängnis wurde wieder ein gemeinrechtliches Gefängnis. 1977 wurde das stillgelegte Gefängnis zur Besenfabrik umfunktioniert, bis 1993 dann zum Salzlager. Dann übernahm die Stiftung Bürgerakademie das Gebäude, um es in ein Museum zu verwandeln. "Das Museum hat die ursprüngliche Gebäudestruktur der 50er Jahre beibehalten. Der Besucher sieht beim Eintreten genau, wie die Gefangenen lebten: auf einem Metallbett, mit einem Leintuch und einem Strohkissen", erklärt der Museograph Robert Fürtos. An den Wänden der Rampe, die zur "Gebets- und Meditationsstätte" führt, wurden die Namen der 8000 Menschen eingraviert, die in den kommunistischen Gefängnissen Rumäniens ums Leben kamen.

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