Jeder Krise ihr Rebellenschick

Die Kontraktion des Wortes "Bürgerliche Bohème" bezeichnet in Frankreich die Bobos, eine wohlbekannte gesellschaftliche Gruppe von wohlhabenden Städtern, die einen zweifelhaften Nonkonformismus zur Schau tragen. Und sie sind nicht allein: Von "Hipstern" bis zu "Bananenkindern"- cafebabel.com lässt die Namen ihrer Pseudos oder Artverwandten in den USA, Polen und anderswo Revue passieren.

Veröffentlicht am 4 September 2009 um 10:31

Man kann in New York kaum einen Schritt tun, ohne diesen bleichgesichtigen, in American Apparel gekleideten Karottenhosenträger mit Hornbrille über den Weg zu laufen. Sie behaupten, vegan zu leben, und übersehen dabei ihre angesagten Lederstiefel. Der amerikanische hipster (die umgangssprachliche Bezeichnung für Opium) zeichnet sich dadurch aus, dass er stolz auf seinen alternativen Lebensstil ist. Sein französisches Pendant ist der bobo (Abkürzung für bourgeois-bohème, auf Deutsch "bürgerlich-bohemienhaft"), der typischerweise in Paris lebt, biologische Lebensmittel bevorzugt und nur Kleidungsstücke aus Naturfaser trägt. Auf sein iPhone mag er trotzdem nicht verzichten.

Der zeitgenössische hipster weicht der Politik aus, aber der französische bobo entstand im Umfeld der linken Kulturrevolution der 68er. Im Gegensatz dazu verdiente sich der polnische bananowe dziecko (auf Deutsch "Bananenkinder") seinen Namen durch eine betont oppositionelle Haltung gegenüber der kommunistischen Linken. Aus den Kindern der linken Kader wurden Aktivisten, die gegen die alte Elite rebellierten und sich den Vorwurf einhandelten, das eigene Nest zu beschmutzen. Von den Kommunisten wurden sie "Bananenkinder" genannt, da die Banane zu Zeiten des Kalten Krieges astronomisch teuer war und daher nur Mitglieder der gutbetuchten, kommunistenfreundlichen Kreise, aus denen die Revoluzzer stammten, sich diese leisten konnten.

Während der bobo heutzutage immer noch die Sozialisten oder die Grünen wählt, sind aus der frühere Generation der französischen Bohemiens bereits limousine liberals geworden, die von Klimaschutz sprechen, aber Limousinen fahren.Der gauche-caviar ("Kaviar-Linke"), wie der Franzose linke Politiker mit teuren Shoppinggewohnheiten nennt, wird oft vorgeworfen, dass sie den Draht zum Volk verloren habe. Italiener kennen dieses Phänomen unter dem Namen radical chic (politisch links stehende, volksferne Politiker mit Vorliebe für Luxusgüter). Die Briten hingegen verlachen die dekadenten Labour- Politiker seit 1989 gerne als champagne socialists.

Ende der 1980ger Jahre wurden Kaviar und Champagner durch den Börsencrash ausrangiert. Die Yuppie-Kultur (Abkürzung für young urban professional) in den englischsprachigen Ländern und Deutschland ging zu Ende. Wer weiß, welche Spezies sich auf dem Nährboden der gegenwärtigen Wirtschaftskrise entwickeln wird? Und vor allem: Welche Kleider wird sie tragen?

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

von Diane Choi – Übersetzung: Lilian Maria Pithan

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema