Aus dem Film "Tuukrid Vihmas" (Taucher im Regen), von Priit Pärn.

Mit der Melancholie als Markenzeichen

Seit der Unabhängigkeit behandelt der estnische Film stets eine Hauptperson, beobachtet Postimees: die Melancholie.

Veröffentlicht am 19 September 2011 um 13:16
© 2010 Eesti Joonisfilm  | Aus dem Film "Tuukrid Vihmas" (Taucher im Regen), von Priit Pärn.

Das Schaffen unserer großen Filmemacher Veiko Õunpuu und Sulev Keedus stimmt uns traurig, trotz jeden Funkens Hoffnung. Auch über unseren weltweit geschätzten Zeichentrickfilmen liegt eine dunkle Stimmung. Die Klassiker wie auch die Filme zeitgenössischer Regisseure lassen uns hoffnungslos zurück, denn alles wird in dunklem Licht gezeigt. Ist das Leben tatsächlich immer so traurig, wie wir es beschreiben?

Wenn wir weiter zurückschauen, stellen wir fest, dass die Werke von Tammsaare [Klassiker der estnischen Literatur] über das harte Leben der Bauern, oder die dunklen Gemälde des Malers Kristjan Raud und die Oratorios von Rudolf Tobias nur einige Beispiele für einen allgemeinen Trend sind. Und da niemand die künstlerische Qualität des estnischen Kulturraumes in Frage stellt, kann man nur über den Ursprung der Melancholie spekulieren, die ihn beherrscht. Natürlich haben wir auch viele Komiker wie z.B. Andrus Kivirähk, und auch gute Komödien, doch ist überall ein Anflug von einer gewissen, typisch estnischen Seelenqual zu spüren. Ist die estnische Kultur wirklich zu melancholisch, und wenn ja, ist das ein Problem?

Historisch gesehen sind Pessimismus und Melancholie fast ein fester Bestandteil der estnischen Kultur. Die langen Winternächte, die die Hälfte des Jahres dauern und die Esten passiv machen, lösen Betrübtheit und Sehnsucht aus. Im Sommer ist die Trockenheit allerdings auch keine wahre Freude.

Kunst soll auch den Menschen helfen

Da wollen die verdrossenen Gesichter, auf die man im Bus trifft, natürlich, dass man ihnen etwas anderes bietet als den Abklatsch ihres Alltags. Sollte nicht gerade die Kultur ihnen Hoffnung und Abwechslung "einimpfen"? ich denke dabei nicht unbedingt an komische Theaterstücke, an fröhliche Straßenmusiker oder ironische, gesellschaftskritische Graffiti. Es würde schon reichen, ernste Themen mit leichterer Hand anzugehen.

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Die Kunst – so wird of vergessen – soll nicht nur Probleme aufzeigen, sie soll auch den Menschen helfen. Das Publikum liest/hört/schaut und versucht, sich mit den Werken zu identifizieren. Dem Semiologen Umberto Eco zufolge sollte jeder Autor seinen "Modellleser" haben, oder seine Zielgruppe. Aber in Estland weiß man häufig nicht, ob der Autor die Erwartung seines Publikums versteht. Es gibt da einen Graben zwischen dem Publikum und dem Künstler; und auch eine Form von Snobismus des Künstlers seinem Publikum gegenüber, das zu unwissend scheint, seine Kunst zu verstehen.

Natürlich ist die estländische Kultur so breitgefächert, dass jeder auf seine Kosten kommt. Sie bietet nur allgemein leider so ein freudloses Bild. Sei es auch nur, wenn man sie mit der finnischen Kultur vergleicht. Die hat einen gewissen Humor. Wenn Estland nur ein bisschen wie Finnland sein könnte, das die sowjetische Besatzung nicht gekannt hat, könnten die Esten nach Art des finnischen Filmemachers Aki Kaurismäki oder des Schriftstellers Juha Vuorinen der täglich depressiven Stimmung mit etwas mehr Humor begegnen.

Klar, Leben ist nicht nur im Hochsommer Sangria in Altstadthöfen trinken oder Musik bei sperrangelweit offenen Fenstern hören. Der Großteil der uns täglich erreichenden Nachrichten ist allerdings schon deprimierend genug. Da muss die bescheidene und doch so vielfältige estnische Kultur nicht auch noch ständig an sie anknüpfen. (sd)

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