unknows Presseschau

„Im Osten ist die Demokratie in Gefahr“

Veröffentlicht am 15 März 2013 um 14:52

von Katja Petrovic

Ungarns Premier Orbán schleift die Verfassung und höhlt damit die Demokratie aus - so lautet das Urteil der europäischen Presse. Der EU fehlen „die Mittel“, um einzuschreiten", klagt Il Sole 24 Ore, und Le Monde prophezeit ein fortgesetztes „Katz-und-Maus-Spiel zwischen Budapest und Brüssel“.

Ganz Europa ist erbost über die jüngsten Verfassungsänderungen der rechtskonservativen Fidesz-Regierung, welche die Befugnisse des Verfassungsgerichts beschneiden. Es ist ein weiterer Schritt zur Aushöhlung der Demokratie in Ungarn - doch wieder einmal sind der EU die Hände gebunden, stellt die europäische Presse fest. Die Opposition in Budapest zeigt sich ebenfallsresigniert, denn bereits zum vierten Mal wurde das erst seit Januar 2012 geltende neue Grundgesetz nun verändert, was gegen die Glaubwürdigkeit des Parlaments spricht, findet Heti Válasz aus Budapest:

Die Politiker der Fidesz haben viele ungarische Wähler vor den Kopf gestoßen, wodurch sie nicht nur sich selbst Schaden zugefügt haben. [...] Wenn sie binnen zwei Jahren gleich vier Mal ihr Werk „aus Granit“ modifizieren müssen, untergräbt das an sich schon die Glaubwürdigkeit der Gesetzgeber. Sie degradieren damit nicht nur ihre eigene Verfassung, sondern untermauern auch die Vorwürfe der Opposition, wonach das Grundgesetz das Ergebnis einer schlampigen, unausgereiften Arbeit sei. Was aber noch viel schwerer wiegt: Der Verfassung wurden Details eingeschrieben, die eindeutig die Interessen der Fidesz widerspiegeln.

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Interessen, denen die EU eigentlich entgegenwirken wollte, doch der Financial Times zufolge sollen Verfassungsänderungen, die auf Druck von Brüssel 2012 zurückgenommen wurden, nun doch wieder eingefügt werden:

Kritikern zufolge enthalten die Abänderungen Regelungen, die nicht nur die Unabhängigkeit der Justiz gefährden, sondern möglicherweise auch gegen die Religionsfreiheit und die prinzipielle Trennung von Kirche und Staat verstoßen. [Beispielsweise] legen sie sehr genau fest, dass heterosexuelle Paarbeziehungen, „Eheschließungen und Eltern-Kind-Beziehungen“ die Grundlage der Familie sind. Am bedeutungsvollsten aber ist wohl, dass Urteile des Verfassungsgerichts, die vor dem Inkrafttreten der neuen Verfassung im vorigen Jahr gefällt wurden, mit den Änderungen aufgehoben werden. [...] Das ermöglicht allerhand willkürliche Entscheidungen und ist demzufolge äußerst problematisch.

Und so gelingt es dem ungarischen Regierungschef, die Maβnahmen der EU immer wieder auszuhebeln, beklagt Il Sole 24 Ore :

Trotz der Warnungen aus Brüssel, der Kritik der Opposition und der Proteste auf den Straßen, änderte das Parlament in Budapest das Grundgesetz von 2012. In einer Art „weißem“, von Regierungschef Orbán angeführten Putsch, billigten die Abgeordneten Abänderungen, mit der die Befugnisse der Regierung wachsen und die Möglichkeiten des Verfassungsgerichts schrumpfen, dagegen vorzugehen. [...] Im Osten ist die Demokratie in Gefahr und Brüssel fehlen Mittel und Möglichkeiten, um einzuschreiten. EU-Kommissionspräsident Barroso konnte nicht viel mehr tun, als die ungarische Regierung darum zu bitten, Kontakte mit der EU aufzunehmen und zu überprüfen, ob die neue Verfassung auch mit den Werten und Gesetzen der Union vereinbar sei.

Das Stillschweigen der EU rügt auch die Rzeczpospolita aus Polen, fügt jedoch ironisch hinzu, dass sich Orbán nicht nur über die Köpfe der Europäer, sondern auch über die Meinung der USA hinwegsetzt:

Seien wir ehrlich: Menschenrechte werden in Ungarn nicht erst seit gestern, sondern seit 2010 verletzt. Anders als die üblichen EU-Sitten das vorsehen, wählte die ungarische Bevölkerung zunächst einmal eine konservative Partei, was für die liberalen Spitzen natürlich völlig inakzeptabel war. Und im Gegensatz zu den meisten demokratischen Regierungen heutzutage, brachte Viktor Orbáns Kabinett anschließend radikale Reformen auf den Weg, senkte die Steuern für Bürger, kleine und mittlere Unternehmen und führte Steuererleichterungen für Familien ein. [...] Im nächsten Schritt folgte eine neue Verfassung. Diese hatte die Partei Fidesz zuvor aber weder mit Daniel Cohn-Bendit oder Martin Schulz besprochen, noch Barack Obama um seine Meinung gebeten...

Darüber, dass die europäischen Partner Budapest erneut und energisch unter Druck setzen müssen, sind sich die Kommentatoren einig, doch „es ist nicht einfach, die Regierung eines Mitgliedstaats zu maßregeln, die demokratisch gewählt wurde“, erklärt Le Monde:

Die Europäische Union verfügt in einem solchen Fall nur über eine „Atomwaffe“: die Aufhebung des Stimmrechts des betroffenen Landes in Brüssel. Die EU hat jedoch die gescheiterte Einmischung der übrigen Mitgliedstaaten in Österreich in schlechter Erinnerung behalten. [...] Brüssel könnte auch finanzielle Sanktionen verhängen, weil Ungarn die strukturelle Hilfe dringend braucht. Aber dieses Druckmittel, das sicher überzeugender wäre, wird derzeit noch nicht erwogen.

„Europa steckt in der Zwickmühle“, das „Katz-und-Maus-Spiel zwischen Brüssel und Budapest“, wie Le Monde es nennt, wird also weitergehen und daran lässt sich so schnell auch nichts ändern, meint die spanische Tageszeitung El Pais:

Die demokratischen Verirrungen Orbáns unterstreichen den Mangel an praktischen und rasch greifenden Maßnahmen, mit denen die EU widerspenstige Mitglieder zur Ordnung rufen kann. [...] Diese Waffen - deren Einsatz viele Zwischenschritte und komplizierte Rechtswege voraussetzt - sind eher theoretisch als konkret in einer Gruppe, die eigentlich auf dem Konsens der 27 Mitgliedstaaten aufbaut.

In Partnerschaft mit Spiegel Online .

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