unknows Zypern

„Europas großer Irrtum“

Veröffentlicht am 22 März 2013 um 15:42

Der Druck auf das kleine Zypern wird immer größer. Wie die Rettung auch aussehen mag, sie wird für Europa weitreichende Folgen haben, schreibt die Presse. In Zypern klagt O Phileleftheros, die Bürger seien „Opfer einer Abzocke“. Ganz klar, „die Merkel ist es wieder gewesen“, spottet El Mundo.

Das kleine Zypern stellt Europa auf die große Probe. Wie weit darf ein Staat gehen, und seine Bürger in die Verantwortung für überdimensionierte Banken nehmen? Und darf Europa ihn dazu zwingen?

Während in Nikosia am Dienstag die Geldhäuser immer noch dicht waren und der International Herald Tribune über orientierungslose Russen auf Zypern spottete, schrieb ein Journalist von Philelefteros, der größten griechischsprachigen Zeitung der Insel:

Seit Samstagmorgen spüre ich einen gewaltigen Zorn in mir aufsteigen. Nicht nur wegen der Steuer auf die Bankguthaben – ich habe kein Geld, das ich verlieren könnte. Sondern vor allem, weil ich den Eindruck habe, dass man mich wieder einmal für dumm verkaufen wollte. Wie jeder andere Bürger dieses Landes bin ich Opfer einer Abzocke. Einerseits muss ich die Suppe auslöffeln, die uns die zyprische Regierung eingebrockt hat, und andererseits muss ich das „politische Spiel“ unserer europäischen Partner hinnehmen.

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Deutschlands starres Ausharren und Wolfgang Schäubles Kritik am zyprischen Steuerparadies blieben in der angespannten Lage nicht unbeantwortet. Tags drauf polterte Aristos Mihailides in derselben Zeitung: Historisch gesehen habe die Insel keine andere Wahl gehabt als Steuerdumping:

Um die beispiellose Entscheidung für eine Zwangsabgabe auf Bankguthaben zu rechtfertigen, sagte der deutsche Finanzminister, dass das Geschäftsmodell Zyperns „nicht mehr tragfähig“ sei. — Wir sind überzeugt, dass die steuerliche Initiative mit den griechischen und zyprischen Ministern abgesprochen wurde. Haben sie daran erinnert, dass das zyprische Modell nicht von einer Meute Schlitzohren eingeführt wurde, sondern von einem europäischen Staat, der nach einer militärischen Invasion und einer Besatzung einen Weg finden musste, um zu überleben?

Jetzt braucht das Land aber eine 10 Milliarden Euro Hilfe, liegt laut dem Trouw-Cartoonisten Berend Vonk damit auf Platz 5 des Eurovision Crisis Contests und schiebt Europa auf eine neue Eskalationsstufe in der Eurokrise. Mit dem Finger nun auf andere — und vornehmlich Richtung Berlin — zu zeigen, fand El Mundo aus Madrid zu einfach.

An der neuen Eurokrise sind nicht die Zyprer schuld, sondern Angela Merkel und ihre Regierung. Erklärungen gibt es zuhauf. Schuld ist nicht ein aufgeblähter Bankensektor mit Einlagen in Höhe von 128 Milliarden Euro in einem Land, das ein Bruttoinlandsprodukt von 17 Milliarden Euro erwirtschaftet, sondern die Bundeskanzlerin. Schuld sind nicht die Banken, die ohne mit der Wimper zu zucken 21 Milliarden Euro von russischen Oligarchen und noch einmal so viel von arabischen Millionären akzeptieren und sich nicht einmal nach der Herkunft der Gelder erkundigen, wie der deutsche Geheimdienst im November entdeckte. Die zyprischen Finanzinstitute bieten einfach internationale private Bankendienstleistungen zur Steueroptimierung an, wohingegen Merkel evangelisch ist.

Die Insel sei ein „europäischer Irrtum“, schimpft Arnaud Leparmentier in Le Monde. Der Editorialist „sehnt sich fast schon in die gute alte Zeit zurück, als man Kriege gewann und sich von den Besiegten, den zwangsläufig schuldigen Besiegten Reparationen auszahlen ließ“.

Heute funktioniert gar nichts mehr. Die zyprischen Parlamentarier haben sich geweigert, das Diktat von 2013 zu ratifizieren. Dabei hatte man ihnen doch gedroht. Nicht mit einem erneuten Einmarsch der Türken oder der Engländer, aber mit einem ruinösen Bankrott. Die ausländische Armee von heute ist der Euro. Leider ist der Waffenlärm für die Völker besser zu vernehmen als die finanziellen Crashs, die bis zum Eintritt der Katastrophe abstrakt bleiben.

Zypern, das Leichtgewicht der Eurozone, werde von der Eurogruppe aber zu hart angefasst, klagte in Brüssel die Wochenzeitung European Voice.

Falls es noch irgendwelche Ahnungslose gibt, die glauben, dass die EU-Mitgliedschaft einem Land dieselben Rechte und Privilegien verleiht, die auch alle anderen Mitgliedsstaaten genießen, dann sollten sie diese Illusionen schleunigst aufgeben. Die Art, wie Zypern vom Rest der Eurozone behandelt wird, liefert weitere Beweise dafür, dass die Europäische Union heute eine Organisation mit mehreren Geschwindigkeiten und mehreren Ebenen ist. Praktisch gesehen gibt es verschiedene Mitgliedschaftsgrade: Platin, Gold, Silber und – im Fall Zypern – die Unterklasse. Zypern wird nicht so behandelt wie Portugal oder Irland, geschweige denn Italien oder Spanien, und noch nicht einmal wie Lettland und Ungarn.

Wo die Schuldigen schwer zu fassen seien und viel von Zypern als einem negativen Präzedenzfall geredet werde, sollte man die guten Seiten an der Krise aber nicht vergessen, schrieb in Prag das Wirtschaftsblatt Hospodářské noviny: Es schlage die Stunde der Bankenregulierung.

Den Griechen und Spaniern wird gezeigt, dass es das nächste Mal, wenn jemand auf die Idee kommt, sich über die Rigidität der angebotenen Unterstützung zu beschweren, auch das Zypernszenario gibt. So sieht ein Quasi-Scheitern aus, ohne Parfum und Make-up, ohne das Hilfspolster von außen. [...] Die größere Ungewissheit wird zu größerer Vorsicht führen – und vielleicht zu einer besseren Regulierung.

Dem stimmte die italienische Wirtschaftspresse unumwunden zu. Es biete sich jetzt die ideale Gelegenheit, so Il Sole 24 Ore, um eine europäische Bankenaufsicht aufzustocken.

Statt weiterhin zu versuchen, die gefährliche Verbindung zwischen Staat und Banken zu retten, sollte man die angekündigte Reform der EU-Aufsicht nutzen, damit die maroden europäischen Banken sofort von unabhängigen europäischen Organismen kontrolliert, beaufsichtigt – gegebenenfalls liquidiert – und dem Staat entzogen werden. Es bleibt jedoch der Kern des Problems, derentwegen sie überhaupt erfunden wurde: die Beziehung zwischen den Staaten und den Banken. [...] Wie kann ein Plan überzeugen, dem zufolge Europa eingreift, wenn es den Banken schlecht geht, die Finanzinstitute jedoch national bleiben, wenn sie florieren? Weil man nicht fähig ist, den Gordischen Knoten zu lösen, ist man bereit, die Kontoinhaber zur Kasse zu bitten.

In Zusammenarbeit mit Spiegel Online
Foto: AFP

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