unknows Europas Presse zum EZB-Prozess

Hypochonder und Hitzköpfe

Veröffentlicht am 14 Juni 2013 um 15:34

Die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht das Recht hat, über die Euro-Rettungsmaßnahmen der EZB zu richten, spaltet die europäische Presse. Nichts als „recht und billig”, meint die Financial Times. Die spanische Zeitung ABC dagegen ärgert sich, dass Deutschland die Eurozone „auf die Folter spannt.”

Während in manchen Ländern gestreikt wird, wenn man Kritik gegen die Bekämpfung der Eurokrise üben will, und in anderen hitzige Debatten im Parlament stattfinden, zieht man in Deutschland vors Gericht,

spottet die niederländische Wirtschaftszeitung NRC-Handelsblad.

Der ABC-Leitartikler Fernando González Urbaneja nimmt den Prozess gegen die EZB jedoch ganz und gar nicht mit Humor. Ein „unerträglicher Zustand” sei das, schimpft er:

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Die Wurzel des Problems liegt in den Verträgen, vor allem dem Mandat der EZB, das nicht explizit und klar genug ist. Die US-Notenbank hat keine Schwierigkeiten dieser Art. Aber bei uns spannen acht Männer in roten Roben, die vom deutschen Parlament gewählt wurden, die EZB und die gesamte Eurozone auf die Folter. In der Zwischenzeit beziehen die Märkte Stellung und die übrigen EU-Staaten halten den Atem an. Wenn das Bundesverfassungsgericht beschließt, dass die Europäische Zentralbank nicht im Anleihenmarkt eingreifen darf, stellt es den Euroraum vor ernste Probleme und gefährdet die Zukunft der Einheitswährung.

Ähnlich erbost über den deutschen Alleingang ist auch die italienische Wirtschaftszeitung
Il Sole 24 ore. Sie lobt die Anti-Krisen-Rezepte der EZB, weil sie zur Genesung des Euro führen könnten, wenn da nicht die ”kurzsichtigen deutschen Inflations-Hypochonder” wären:

Eine expansive Geldpolitik ist — wie Cholesterin — nicht unbedingt eine schlechte Sache. In bestimmten Situationen kann sie der einzige Weg sein, um langfristig eine stabile Währung zu gewährleisten, insofern sie von einem Arzt — der Zentralbank — verordnet wird, der nicht so kurzsichtig ist wie manche Patienten, Hitzköpfe und sonstige Hypochonder. Das Risiko für den Euro besteht darin, dass sich zu den wachsenden Gefahren, welche von der Kurzsichtigkeit der Politiker heraufbeschworen werden [...] auch noch der gefährliche Hypochonder Deutschland gesellt. Im Kreuzfeuer von Hitzköpfen und Hypochondern könnte der Euro [zum Opfer werden].

Die Financial Times aus London hingegen kann verstehen, dass sich das Gericht in Karlsruhe mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem unbeschränkten Ankauf von Staatsanleihen klammer EU-Länder (OMT-Programm) beschäftigt, fürchtet jedoch ein negatives Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

Da Deutschland den höchsten Beitrag zu den Rettungsaktionen der Eurozone leistet, ist es nur recht und billig, dass sich seine Verfassungsrichter einmal näher ansehen, wie diese Aktionen ausgeführt werden. Falls das Gericht entscheidet, die Outright Monetary Transactions (OMT) zu unterstützen, würde dies auch eine willkommene Sicherheit hinsichtlich Deutschlands Engagement für das Programm bieten und dessen Glaubwürdigkeit bei den Investoren verstärken. [...] Ein negatives Urteil aus Karlsruhe [...] wäre ein großer Rückschritt in der Reaktion der Eurozone auf die Krise. Die Richter sollten bei ihrer Interpretation des Gesetzes auch die breiteren Konsequenzen ihres Beschlusses berücksichtigen.

Diese Mischung aus Sorge um die Zukunft des Euro und Verständnis für den deutschen Steuerzahler teilt auch die polnische Wirtschafts-Onlinezeitung Bankier.pl.

Unser westlicher Nachbar wird nicht zu den Staaten gehören, welche die EZB um Hilfe anflehen. Sollte das OMT-Programm tatsächlich zur Anwendung kommen, wird Deutschland, das schon immer die größte Portion zur europäischen Währungsbehörde beisteuerte, den Löwenanteil der Rechnung zahlen, für die Europas einsichtslose Pleitegeier verantwortlich sind. [...] Eine mögliche Infragestellung des OMT-Programms und anderer unkonventioneller Instrumente der Währungspolitik wäre ein klares Zeichen dafür, dass Deutschland eine Kehrtwende macht und es ablehnt, der von den europäischen Institutionen auferlegten Pflicht nachzukommen, der zu Folge es andere vor dem Bankrott stehende Euroländer retten muss. Dies könnte nicht nur dazu führen, dass die Zinsen der Regierungsanleihen in die Höhe schnellen, sondern auch den Zusammenbruch der Eurozone verursachen.

Die tschechische Tageszeitung Lidové noviny nimmt der Debatte den Wind aus den Segeln. Sie glaubt nicht daran, dass Karlsruhe tatsächlich den Mut haben wird, die Maßnahmen der EZB für verfassungswidrig zu erklären:

Das Gericht muss sich entscheiden: Ist der Ankauf der Anleihen in Ordnung? Oder hat die Bundesbank Recht, die ein Ende dieses Kurses verlangt? Die zweite Variante ist logischer, aber politisch nicht möglich. Sie würde womöglich zum Austritt Deutschlands aus der Euro-Zone führen. Das werden die Richter nicht wagen, auch wenn sie vorgeben, sich für nichts anderes zu interessieren, als die Einhaltung des Grundgesetzes. Am Ende des Prozesses könnte das Ansehen des Verfassungsgerichts angekratzt sein.

La Tribune aus Frankreich erklärt ihren Lesern, dass Deutschland bezüglich der Eurorettung schon lange nicht mehr mit einer Stimme spricht. Fur die französische Wirtschaftszeitung offenbart der Karlsruher EZB-Prozess die historisch bedingte Kluft, die sich seit der Krise zwischen Bundesbankchef Jens Weidmann und Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgetan hat:

Die Position der Kläger ist jene der Bundesbank aus den glorreichen Jahren vom Ende der Sechziger- bis in die frühen Neunzigerjahre. Eine Position, in der die Währungs- und Preisstabilität ein Ziel war, dem alles untergeordnet wurde. [...] Diese Tradition ist an die EZB weitergegeben worden. Doch dann kam die Krise, und alles hatte sich verändert. Mit ihr hat die EZB faktisch neue Befugnisse bekommen: Die Rettung des Bankensystems nach der Pleite von Lehman Brothers und vor allem die „Eurorettung“. [...] Die deutsche Politik unterstützt den Kurs der EZB. Angela Merkel gehört zu den stärksten Unterstützern der EZB. Sie war es, die im Sommer 2012 Mario Draghi grünes Licht für das [OMT-Programm] gegeben hat. Denn Angela Merkel will die Eurozone behalten, nicht aus europäischer Überzeugung, sondern, weil sie weiß, dass der Euro ein effizientes Instrument zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen Deutschlands ist.

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