Voxeurop community Regierungskrise in Italien

”Eine lächerliche Tragödie”

Veröffentlicht am 4 Oktober 2013 um 16:28

”Berlusconi ist erledigt”, schreibt La Repubblica, am Tag nach dem Vertrauensvotum in Italien. Den Dolchstoß verpasste ihm ausgerechnet sein ”Engelchen”, spottet Le Monde. Für Enrico Letta ist der Erfolg jedoch nur ein “Pyrrhussieg”, meint The Guardian.

Nachdem der Senat sich bei der Vertrauensabstimmung am Mittwochmorgen mit klarer Mehrheit hinter Regierungschef Letta gestellt hatte, stimmte zu später Stunde auch die große Kammer des Parlaments für den Erhalt seiner Regierung.
Silvo Berlusconois Versuch eines Umsturzes war damit krachend gescheitert, der große Zampano blamiert. Dazu schreibt der Standard aus Wien:

Was in der Nacht zum Mittwoch in Rom ablief, war ein Lehrstück italienischer Politik: Machtspiele, Intrigen, Postengeschacher, Listen der unvermeidlichen Überläufer. Doch der Drahtzieher, der den Sturz der Regierung angeordnet hatte, musste um Mitternacht erkennen, dass er zu hoch gepokert hatte. Silvio Berlusconis Vorhaben wurde von einem in seiner Partei “Volk der Freiheit” (PdL) unerhörten Vorgang vereitelt: Einer Meuterei aufsässiger Parlamentarier, die der gewohnten Huldigungszeremonien zu guter Letzt überdrüssig waren.

Am Vortag hatte Berlusconi seine PdL-Minister noch zum Rücktritt aufgefordert und rumgetönt, er werde gegen Lettas Regierung stimmen. Doch dann änderte er im letzten Moment doch noch seine Meinung, denn ausgerechnet sein bisher engster Verbündeter, der stellvertretende Ministerpräsident und PdL-Vize Angelino Alfano, folgte seinen Anweisungen nicht und entpuppte sich als “der kleine Brutus, der den Cavaliere zu Fall brachte”, schreibt Le Monde:

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Dieser da, also wirklich, mit ihm hat er nicht gerechnet. Sein Lächeln, sein Mund, und dann noch dieser sanftmütige Vorname Angelino (Engelchen)... Wie hätte er sich vor Angelino Alfano in Acht nehmen können? Schließlich hatte er selbst ihn zu seinem Nachfolger und zum Generalsekretär seiner Partei gemacht. Zweifelsohne weil [Alfano] seine Ambitionen nicht zur Schau trug und mit Bescheidenheit glänzte. [...] Dieser kleine Brutus hat den Kaiman mit den abgewetzten Zähnen dazu gezwungen, seine Entscheidung, die Regierung zu Fall zu bringen, noch einmal zu überdenken.

Italiens Tageszeitung *Il Giornale, die Berlusconi zunächst selbst erwarb und später an seinen Bruder verkaufte, ist entsetzt: Eine “Jagd auf die Berlusconiani” sei das gewesen, was die Abtrünnigen aus den eigenen Reihen und die Anhänger von Lettas Partito Democratico da veranstaltet hätten, doch, so prophezeit das Blatt, werde “Berlusconis Schachzug die Linken schon noch in Schwierigkeiten bringen”.

Die linksliberale Tageszeitung La Repubblica nennt das Ganze eine ”bedinungslose Kapitulation” und eine “lächerliche Tragödie”.

Berlusconi hatte die Wahl zwischen einem dramatischen Ende – mit in Flammen stehenden Landschaften im Hintergrund – und einem absurden Ende. Er entschied er sich für Letzteres [...] Eins ist sicher: Als Anführer ist Berlusconi erledigt. Mit den gestrigen Faxen hat er sein Zepter aus der Hand gegeben und wird für das Mitte-Rechts-Lager niemals mehr für das Amt des Ministerpräsidenten kandidieren können. In seinem zwanzigjährigen Kampf gegen den “kommunistischen” Feind ist es Berlusconi nicht gelungen, das linke Lager zu vernichten, hat es aber sehr wohl geschafft, den rechten Flügel fast völlig zu zerstören. Die Androhung einer „Weltvernichtungsmaschine” war nur der letzte verzweifelte Erpressungsversuch eines Führers, der sich – unter anderem durch seine Straftaten – selbst kaltgestellt hat. Das ist eine bedingungslose Kapitulation, eine lächerliche Tragödie.”

Rzeczpospolita aus Warschau spricht von einer “Demütigung” für Silvio Berlusconi:

Die gestrige Niederlage läutet das Ende der politischen Karriere eines Mannes ein, der die politische Bühne Italiens – auf Gedeih und Verderb – beherrscht hat. Auf der einen Seite war er der erste Politiker der Nachkriegszeit, der seiner Regierung die notwendige politische Stabilität sicherte. Auf der anderen personalisierte er die italienische Demokratie und teilte das Land in zwei Lager: Seine Anhänger und seine Feinde.

Libération aus Paris widmet sich dem Gewinner der Vertrauensfrage: Italiens Premierminister Enrico Letta, der drohte Berlusconi zum Opfer zu fallen und “noch vor wenigen Monaten dazu verdammt zu sein schien, politisch immer nur die zweite Geige zu spielen”:

In der von Silvio Berlusconi ausgelösten Krise hat der jüngste europäische Regierungschef – nach dem Briten David Cameron – allerdings bewiesen, dass er ein subtiler, kühner und mutiger Taktiker ist, der ehrliche und offene Worte bevorzugt. Im Klartext bedeutet das: Er hat das Zeug zum Staatsmann.”

Darüber, dass nun “andere Spielregeln” in Italien gelten werden, ist auch Italiens größte Tageszeitung Corriere della Serra erleichtert:

Die neue Regierung kann sich auf eine stärkere Homogenität stützen. Jetzt wird sie nicht nur die „Falken“ um Berlusconi in die letzte Ecke verbannen, sondern auch [...] Beppe Grillo und die ausgehöhlte Lega Nord. Sie, die Akteure einer “parteiübergreifenden Krisenallianz”, sind die Verlierer. Gewinner sind alle jene, die der Sehnsucht nach Stabilität Rechnung tragen und der Forderung nach Sicherheiten, die Europa und die Finanzmärkte zu Recht verlangen. Vielleicht war der schlimmste Fehler der “Umstürzler“, dass sie nicht verstanden haben, dass ab jetzt andere Spielregeln in Italien gelten.

The Guardian aus London dagegen ist weit weniger zuversichtlich. Für Enrico Letta “glichen die Szenen im Parlament eher einem Pyrrhussieg”, meint die Zeitung aus London:

Sicher hat Letta davon profitiert, dass eine Spaltung der PDL drohte, aber bis dies tatsächlich geschehen wird und eine neue Mitte-Rechts-Partei gebildet ist, wird die momentane Koalition von einer Krise zur nächsten hinken. Obwohl langsam ein Anfang des Endes der Ära Berlusconi in Sicht ist, ist der Traum einer modernen, reformwilligen Mitte-Rechts-Partei, welche die Forza Italia ablösen wird, noch längst nicht in Erfüllung gegangen. Die tatsächliche Beseitigung Berlusconis könnte also noch immer zu einer schmerzhaften Angelegenheit werden.

In Partnerschaft mit Spiegel Online

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