Hören wir auf, uns selber Angst zu machen

Veröffentlicht am 25 Mai 2012 um 14:29

Diese Woche haben sich die Europäer – und nicht nur sie – vorgespielt, sie hätten Angst: Die Hypothese des „Grexit“ wurde als immer wahrscheinlicher bezeichnet. Nach den Analysten, die seit Monaten Bemerkungen darüber machen, warum und wie Griechenland die Eurozone verlassen sollte, sind jetzt die Politiker und die von ihnen beauftragten Experten an der Reihe, sich in – ordnungsgemäß bezifferten – Vorhersagen über die Unvermeidbarkeit dieses Szenarios zu ergehen.

Während des informellen außerordentlichen Gipfels vom 23. Mai gaben die Staats- und Regierungschefs der EU zu, dass die Frage heute nicht mehr tabu ist und dass sich alle damit beschäftigen, wenn auch jeder für sich.

Gleichzeitig beteuerten sie ihren Wunsch, Griechenland solle doch in der Eurozone bleiben – natürlich unter der Bedingung, dass es seinen Verpflichtungen gegenüber den Kreditgebern nachkommt.

Hierin liegt auch der Kern: Der „Grexit“ ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine äußerst politische Frage. Genau wie damals der Beitritt Griechenlands zur Eurozone, während man doch in Brüssel und anderswo durchaus wusste, dass Athen, wie vorher schon Italien, noch nicht so weit war.

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Die europäischen Regierungschefs müssen also entscheiden, ob sie bereit sind, die wirtschaftlichen Kosten für ihre Banken und ihre Steuerzahler sowie die politischen Folgen – Diskreditierung der Einheitswährung, Zersplittern des europäischen Integrationsmodells, Lossagung von der „Wiege der Demokratie“, um nur einige davon zu nennen – nach einem Austritt Griechenlands aus dem Euro zu tragen.

Ihre griechischen Kollegen wiederum müssen entscheiden, inwieweit sie dazu bereit sind, den eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen oder diese rückgängig zu machen – und in letzterem Fall, auf welche Art und Weise. Was ihren Austritt aus dem Euro betrifft, so scheint dies weder für sie noch für die Mehrheit ihrer Wähler in Betracht zu kommen.

Gerade weil die politischen und wirtschaftlichen Kosten für einen „Grexit“ sowohl für die Griechen als auch für ihre Partner viel zu hoch wären, kann man darauf wetten, dass eine weniger extreme Lösung gefunden werden wird.

Diese dürfte sich nach den griechischen und französischen Parlamentswahlen vom 17. Juni abzeichnen. Die Europäer werden wahrscheinlich doch noch eine – erneute – Umstrukturierung und Umschuldung der griechischen Anleihen akzeptieren.

Dadurch dürfte die Bevölkerung, die durch zwei Jahre strenge Sparmaßnahmen sehr mitgenommen ist, ein bisschen aufatmen können.

Die Griechen werden wahrscheinlich von einer ganz neuartigen Parlamentsmehrheit regiert und von der „Troika“ EU-EZB-IWF scharf beobachtet werden.

Weiter müssen sie einen Staat, der sich als ungerecht und unproduktiv herausgestellt hat, reformieren und politische Gepflogenheiten, deren Konsequenzen für alle ersichtlich sind, aufgeben.

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