Drisch mir die Euro-Phrase

Veröffentlicht am 3 August 2012 um 14:43

„Wenn sie verstanden haben, was ich ihnen gerade erzählt habe, habe ich mich wohl schlecht ausgedrückt.“ Der Scherz des ehemaligen Präsidenten der US-Notenbank Alan Greenspan war zur damaligen Zeit des Finanzmarktbooms witzig. Doch in den heutigen Zeiten der Schuldenkrise wäre ein bisschen mehr Klarheit der Verantwortlichen der Eurozone wünschenswert.

Am 26. Juli versicherte der Präsident der Europäischen Zentralbank, dass die EZB alles Notwendige täte, um den Euro zu retten. Am 2. August deutete Mario Draghi nach einer Versammlung des EZB-Rates an, dass seine Institution in die Finanzmärkte eingreifen könnte, um die spanischen oder italienischen Schulden aufzukaufen. Dies allerdings nicht sofort und nicht auf direktem Wege.

Noch vor Ende seiner Pressekonferenz stürzten die europäischen Börsen ab und die Zinssätze der spanischen und italienischen Schuldverschreibungen erreichten erneut Rekordhöhen. In der Vorwoche verhielt es sich genau umgekehrt. Am 3. August erholten sich die Börsen wieder.

Wirtschaftswissenschaftler und Politiker erklären immer wieder, dass es keine schnelle Lösung für die Krise gebe und dass man mit Vorsicht vorgehen und keine vorschnellen Aussagen machen solle. Der kleinste Fehler kann einen Staat Milliarden Euro kosten, wenn die Finanzmärkte schlecht darauf reagieren. Jetzt scheinen genau dieselben Finanzmärkte die Entscheidungen der höchsten Verantwortlichen der europäischen Wirtschaft nicht mehr zu verstehen.

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Natürlich ist die Unvorhersehbarkeit der Finanzmärkte ein bekanntes Phänomen, dass sich im Übrigen häufig rational durch die kurzfristigen Interessen der Investoren erklären lässt. Mario Draghi hielt Spanien und Italien implizit dazu an, Hilfe vom Europäischen Stabilitätsfonds (ESM) einzufordern, bevor sie mit einer Hilfe der EZB rechnen könnten. Diese Möglichkeit lehnen Madrid und Rom ab, die Regierungschefs der beiden Länder haben dennoch Draghis Worte begrüßt.

Das verstehe, wer wolle. Vielleicht kommt man dahinter, wenn man einsieht, dass es eine lange Schachpartie ist, die Draghi, die europäischen Politiker und der unausweichliche Akteur Bundesbank, miteinander spielen. Diese Partie ist für den Durchschnittseuropäer nahezu unverständlich.

Viel steht auf dem Spiel, denn es geht darum, die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Eurozone für die nächsten Jahre zu definieren. Selbstverständlich ist es völlig normal, dass eine lebhafte Diskussion zwischen den Wirtschaftlern und Politikern auf europäischer Ebene stattfindet. Auf seinem schmalen Weg scheint sich Mario Draghi übrigens seinem Ziel zu nähern, nämlich den Ländern, die in Schwierigkeiten stecken, zu helfen, um die Zukunft des Euro zu retten und gleichzeitig die Finanzmärkte zu beruhigen und den Einfluss der Bundesbank einzudämmen.

In den Tagen vor der Versammlung der EZB haben Journalisten und Blogger versucht, die Informationen aus den unterschiedlichen europäischen Institutionen zu interpretieren. Wer sagt was? Was soll das heißen? Warum sagt er das jetzt? Wer manipuliert wen? Die Debatte und ihre Auslegung scheint einigen Fachmännern vorbehalten zu sein. Wenn man zu Zeiten des Kalten Krieges versuchte, herauszubekommen, was sich in Moskau abspielte, nannte man das „Kreml-Astrologie”. Der Vergleich ist nicht wirklich beruhigend.

Aus dem Französischen von Signe Desbonnets.

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