Der Vertrag von Lissabon überträgt dem Europäischen Parlament in vielen Bereichen weiterreichende Machtbefugnisse. Diese Woche hat die Versammlung diese auf die Probe gestellt, das ganze bei einem denkbar heiklen Thema, nämlich dem zentralen Streitpunkt, dem Budget. Zuerst forderte es die Finanzierung der Union zu reformieren, denn es will neue, eigene Steuern einführen. Anschließend stimmten die Parlamentarier einer Budgeterhöhung um 5,9 Prozent zu. Das ist fast das Doppelte von dem, was die Mitgliedsstaaten wollten.

Danach haben die Europaabgeordneten ein interinstitutionelles Abkommen mit der Kommission abgeschlossen, das ihnen noch mehr Macht zubilligt, vor allem bei internationalen Verhandlungen und beim Zugang zu Geheimdokumenten. Dieses Abkommen wird vom Europäischen Rat angefochten, der bei den Verhandlungen nicht dabei war (er hat sich selbst davon ausgeschlossen) und der verkündet hat, dass er „jegliche Urkunde der Kommission oder des Parlamentes“ vor den Gerichtshof schleppt, „die unter Anwendung dieses Abkommens zustande kam und sich gegenüber seinen Interessen oder denen seiner Vorrechte nachteilig auswirken könnte".

Somit wurde sich das Parlament der neuen Machtverteilung durch den Vertrag von Lissabon bewusst. Es sieht ganz so aus, als wolle es davon Gebrauch machen, indem es sich das größte Stück vom Kuchen abschneidet. Diesen Kurs scheint die Kommission zu teilen und zu unterstützen. Nur der Rat, in dem die Mitgliedstaaten direkt vertreten sind, erweckt den Eindruck, die neuen Regeln eher zu ertragen als sie auszuschlachten. So führt er wohl ein Nachhut-Gefecht, um zumindest den Status quo aufrecht zu erhalten. In diesem neuen institutionellen Rahmen versuchen die drei Hauptakteure sich zurechtzufinden. Und die Volksvertreter scheinen fest entschlossen, ihre Ansichten durchzudrücken. (sd)

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!
Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema