Tunesische Lehren

Veröffentlicht am 21 Januar 2011 um 12:17

Die "Jasminrevolution", die das Ende des Regimes von Zine el Abidine Ben Ali in Tunesien einläutete, war vor allem das Werk der Jugend (60% der Bevölkerung sind jünger als 30 Jahre alt), von Studenten (34,6% der 19-24-jährigen) und von arbeitslosen Akademikern (30% der jungen Leute und 22% der jungen Akademiker sind arbeitslos) mit Zugang zum Internet (33,4% der Bevölkerung hatten 2009 einen Internetzugang).

Ohne berufliche Perspektive — und daher auch ohne familiäre — und Gefangene eines volkswirtschaftlichen Systems, das abgeschottet und korrumpiert ist, haben sie ihr Schicksal in die Hand genommen und ihm einen ordentlichen Schlag versetzt.

Am anderen Ufer des Mittelmeers schlagen sich Millionen von jungen Leuten mit prekären Arbeitsverhältnissen herum (wenn sie überhaupt Arbeit haben) und treffen auf verknöcherte Mauern eines verschlossenen volkswirtschaftlichen Systems, insbesondere in Italien und Griechenland.

Auch wenn man ihre Situation nur teilweise mit der ihrer Kameraden in Tunesien vergleichen kann, ist ihr Vertrauen in die Zukunft unter Berücksichtigung aller Unterschiede mindestens genauso stark erschüttert. Selbst wenn es für sie nicht in Frage kommt, ihre demokratischen Regierungen zu stürzen, zeigt sich ihr Protest in politischem Desinteresse (die 18-24-jährigen sind die Altersgruppe mit der kleinsten Wahlbeteiligung) und in dem Beitritt in extremistische Parteien. Doch auch sie sind dazu fähig, gemeinsam ihrer Wut Ausdruck zu verleihen, wie man bei den Demonstrationen sehen konnte, die Europa im Herbst erschütterten.

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Ihre Revolte schafft es aber nicht, die politischen Verantwortlichen wach zu rütteln, denn die Jugend ist heutzutage eine Minderheit — nur einer von fünf Europäern ist heute jünger als 20 Jahre — und ist weit von der nötigen Anzahl entfernt, damit politische Entscheidungen in ihrem Interesse getroffen wird.

Die europäischen Staatschefs scheinen sich sehr wohl darüber bewusst zu sein, und ihre Einstellung der Jugend gegenüber, die sich unter anderem immer wieder in Kürzungen der Gelder für Bildung und Wissenschaft zeigt, zeugt von der Wichtigkeit, die man ihr beimisst. Doch wenn es eine Lehre gäbe, die man aus der "Jasminrevolution“ ziehen könnte, so ist es die, dass die Jugend irgendwann zurückschlägt, wenn man sie zu lange schikaniert.

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