Bei Interviews nach Niederlagen haben italienische Trainer eine unfehlbare Methode, um die Verantwortung ihrer Mannschaft vergessen zu machen und die Wut der Fans auf einen Außenstehenden zu lenken: den Schiedsrichter. Im übrigen Europa ist diese Angewohnheit absolut verpönt: Dort werden Schiedsrichterentscheidungen immer respektiert, auch wenn es eklatante Fehlentscheidungen sind.
Berlusconi war wohl aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als AC-Mailand-Präsident der Erste, der diese Taktik auf die Politik übertrug und die Figur des Schiedsrichters durch die des Richters ersetzte. Schiedsrichter und Richter sind schließlich niemandem sympathisch: Vergessen wir nicht, dass sie erst dann wirklich existieren, wenn sie einen Fehler machen, und den machen sie immer, wenn sie uns schaden. So haben Berlusconis Angriffe auf die Richter, die er regelmäßig als „Kommunisten“ und „Umstürzler“ bezeichnete, jahrelang von seinen groben Fouls und den vernichtenden Niederlagen seiner Mannschaft abgelenkt.
Im Gegensatz zum Fußballeuropa ist das politische Europa bereits im Begriff, die italienische Lektion zu lernen. Kürzlich leistete sich Nicolas Sarkozy ein Foul gegen die französische Justiz, indem er ihre Nachlässigkeit für einen Mord verantwortlich machte, der Frankreich schockierte. Der ungarische Premier nutzte eine unpopuläre Entscheidung des Verfassungsgerichts, das eine beträchtliche Steuer für die „Krisen-Verursacher“ ablehnte, um dessen Macht deutlich einzuschränken.
Sarkozy und Orbán haben unterschiedliche Beweggründe: Sarkozy will im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen 2012 wieder an Popularität gewinnen, Orbán möchte freie Hand, um die Früchte seines jüngsten Wahlsiegs zu ernten. Doch beide fahren im Kielwasser Berlusconis, der schon immer versucht hat, die Grenzen zwischen den Gewalten verschwimmen zu lassen und das Misstrauen in die Institutionen auszunutzen, um sich direkt an den „Bauch des Volkes“ zu richten und dann dessen bedingungslose Legitimation zu erlangen.
Diese Taktik kann kurze Zeit funktionieren. Sollte sie allerdings weitere Nachahmer in Europa finden, besteht die Gefahr, dass die europäische Politik das gleiche Los erleidet wie der italienische Fußball: immer chaotischer und mittelmäßiger, und immer weniger konkurrenzfähig auf internationaler Ebene, wo sich die Schiedsrichter vom Gezeter der Trainer nicht einschüchtern lassen. (sk)