Beschnittene Souveränität

Veröffentlicht am 12 August 2011 um 09:40

Die Staatsschuldenkrise im Euroraum hat wenigstens einen Vorteil: Sie führt auch jenen, die sich am meisten gegen diese Erkenntnis sträuben, die Unzulänglichkeit einer einfachen, an einen Stabilitätspakt gekoppelten Einheitswährung vor Augen und zeigt klar, dass eine gemeinsame Wirtschaftspolitik unumgänglich geworden ist. Andernfalls schreiben die Märkte uns ihre Gesetze vor, und die Staaten müssen sich damit begnügen, Ausuferungen in Grenzen zu halten, wie sie es seit 2008 versuchen.

Als die europäischen Staatschefs sich in das Euro-Abenteuer stürzten, ahnten sie wohl nicht, wie es sich entwickeln könnte. Damals waren die Länder der Währungsunion auch nicht so hoch verschuldet. Wenn sie das Wagnis eingegangen sind, dann wohl unter der Annahme, dass ihre Nachfolger gewiss eine Lösung finden würden, um einer eventuellen Krise erfolgreich zu begegnen.

Diese Nachfolger scheinen heute aber gelähmt zu sein, wie „Kaninchen im Scheinwerferlicht eines herannahenden Autos“, so kürzlich sehr treffend The Economist. Ihrer Fähigkeiten beraubt, entweder, um ihre Wähler nicht vor den Kopf zu stoßen, oder, was noch schlimmer ist, weil es ihnen an Weitblick fehlt, sie unfähig sind, den Stier bei den Hörern zu packen, oder sich einfach nur bewusst zu werden, dass sie mit einer radikalen Entscheidung konfrontiert werden: die Einheitswährung aufgeben oder die Befugnisse der Union, insbesondere auf finanzpolitischer Ebene, zu untermauern.

Gewiss würden die Mitgliedstaaten auf diese Weiser eine der wichtigsten Ausdrucksformen ihrer Souveränität verlieren, aber seit Ausbruch der Krise wurde diese viel gepriesene Unabhängigkeit de facto bereits arg beschnitten, sind es doch die Märkte, und nicht die Wähler oder Parteiprogramme, die in den schwächsten und sogar manchen solideren Staaten der Währungsunion die Wirtschaftspolitik diktieren.

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Der krasseste Fall ist wohl Italien, dem die Europäische Zentralbank trotz der einige Tage zuvor von Rom angekündigten Maßnahmen mehr oder minder einen Sparplan aufgezwungen hat.

Was ist nun vorzuziehen: freiwillig ein wenig seiner Souveränität an Institutionen abzugeben, die ein Mindestmaß an demokratischer Kontrolle gewährleisten, oder sein Schicksal in die Hände der Märkte zu legen, die ganz anderen Regeln gehorchen? (cr)

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