Frankreichs Presse betreibt Selbstkritik

Veröffentlicht am 28 Februar 2012 um 13:08

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“Transparenz inwieweit?” fragt sich Libération auf der Titelseite. Heute erscheint “Sexe, mensonges et médias” (dt.: Sex, Lügen und Medien), das Buch ihres Brüsseler Korrespondenten Jean Quatremer. Und somit flammt die Debatte über das Verhalten der Medien hinsichtlich des Privatlebens von Politikern in Frankreich erneut auf.

“Die Lügen, die Ermittlungsverweigerung... ihre Vorliebe für die geheime Sache mit den Mächtigen”: Quatremer nimmt die schlechten Angewohnheiten der französischen Presse unter die Lupe. 2007, als Dominique Strauss-Kahn, kurz “DSK”, zum Direktor des IWF ernannt wurde, schrieb der Journalist als erster über Strauss-Kahns Sexualleben: “Strauss-Kahns einziges wirkliches Problem ist seine Beziehung zu Frauen. Seine Zudringlichkeit grenzt oft schon an Belästigung. Die Medien kennen diese Schwäche, doch niemand spricht darüber (wir sind ja schließlich in Frankreich).” Diese Zeilen blieben fast unbemerkt, nur die Website der Zeitschrift Marianne beschuldigte den Journalisten, “über die gelbe Linie” geschossen zu haben. Doch dann wurde der Mann, den die Umfragen als Favoriten der Sozialisten für die Präsidentschaftswahl 2012 ankündigten, in New York verhaftet und wegen versuchter Vergewaltigung angeklagt.

Die französische Tageszeitung ruft die großen Fälle auf, in welchen sich die Presse in Schweigen hüllte: von der Krankheit über das Doppelleben François Mitterrands bis zum anormalen Verhalten von DSK. Danach heißt es:

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Es gibt die Zeit vor dem Sofitel und die danach. Wir sehen die überängstliche Funktionsweise unserer Medien mit neuem Auge. Tatsächlich sind die Journalisten mit den Politikern befreundet. “Haltet euch von der Macht fern!” sei das Grundprinzip, verkündete ein amerikanischer Journalist. In Frankreich wird gemeinsam diniert, in Urlaub gefahren und miteinander angebandelt, man stammt ja aus denselben Hochschulen. Es gibt keine Ermittlungstradition in der privaten Welt der Politik. [...] Die öffentlichen Folgen, die das Privatleben des Präsidenten hat, bleiben im Hintergrund. Weil man lieber kommentiert als reine Informationen zu liefern. Aufgrund mangelnder Unabhängigkeit des öffentlichen Fernsehens. Es sei daran erinnert, dass der französische Präsident die Leiter der TV-Sender ernennt und mit königlicher Hand die Journalisten kürt, denen das Privileg zukommt, den Monarchen zu interviewen.

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