Diese Frage stellt sich The American Interestin einer Sonderausgabe zur Wirtschaftskrise, die gleichzeitig auch als Politik-, Sozial- und Kulturkrise den alten Kontinent durchzieht. "In wenigen Jahren ist die Wahrnehmung Europas gekippt: Dort wo einst ein verlockendes postnationalistisches Leitbild des Friedens, Wohlstands, sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Tugend aufstieg, versandet jetzt ein weitaus größeres Projekt, das aber allem Anschein nach kein Ziel hat und deutlich unattraktiver ist", befindet die konservative amerikanische Zeitschrift.
"Die Finanzkrise und ihre Folgen haben die Probleme und Grenzen Europas bersten lassen". Ist es aber dazu fähig, wieder auf die Beine zu kommen? Die American Interest hat diese Frage acht Beobachtern gestellt, vier Amerikanern und vier Europäern. Unter den Europäern befand sich der bulgarische Politologe Ivan Krastev, der der Auffassung ist, dass "Europa sein Selbstvertrauen und seine Energie verloren hat, wie auch die Hoffnung, dass das nächste Jahrhundert das 'europäische Jahrhundert' sein wird." Während Amerika gegen den 'Niedergang' ankämpft, hat Europa sich dafür entschieden, sich seiner zu bemächtigen. Krastev erklärt des Weiteren, dass die "Europäische Union heute tatsächlich weniger eine Großmacht im Niedergang als eine 'Großmacht in Rente' ist – weise, aber energielos, zahlungskräftig, aber kulant". Und dies paradoxerweise "zu einer Zeit, in der die Europäer gute Gründe haben zu glauben, dass sie Recht hatten, dass angelsächsische Wirtschaftsmodell und den amerikanischen Traum von einer unipolaren Welt zu kritisieren". Es sei noch zu früh, Europa auf das Abstellgleis zu setzen, schlussfolgert Krastev, "aber Europa, so wie wir es gekannt haben – nicht nur der sozialdemokratische Rahmen, sondern auch die dazugehörige politisch-ideologische Theorie – war einmal".