Bürger machen Gesetze

Veröffentlicht am 8 Januar 2013 um 16:32

Bekommen Estlands Bürger mehr Mitspracherecht in der Politik? Nach den politisch-finanziellen Skandalen, die das Land im vergangenen Herbst aufwühlten, sollen sie sich zumindest befristet als Gesetzgeber versuchen. Ein von Staatspräsident Toomas Henrik Ilves einberufener Runder Tisch von Vertretern aus Parteien, Zivilgesellschaft und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens hat beschlossen, den Bürgern drei Monate lang – von Januar bis März 2013 – die Möglichkeit zu geben, an der Ausarbeitung neuer Regelungen des politischen Lebens mitzuwirken.

Seit dem 7. Januar ist die Website Rahvakogu.ee („Bürgerversammlung“) aktiv. Hier können sich die Internetnutzer mit den existierenden Regelungen zu Wahlen und Parteien vertraut machen und Änderungen vorschlagen.

„Dazu braucht man kein Politikwissenschaftler oder Jurist zu sein. Die Texte werden so einfach wie möglich präsentiert“, erklärt die Tageszeitung Postimees. Bis Ende Januar können Änderungsvorschläge zu Gesetzen in fünf Bereichen eingebracht werden: die Funktionsweise, Arbeit und Finanzierung der politischen Parteien sowie die Wahlen behandeln. „Sinn dieser Initiative ist die Aussage, dass kein Mensch alleine so intelligent ist wie ein Volk in seiner Gesamtheit“, erklärt Urmo Kübar, Direktor der Union der unabhängigen Verbände, im Gespräch mit der Zeitung.

Ende Januar wird eine Gruppe von Experten anfangen, über die herausgearbeiteten Ideen zu reflektieren. Im März sollen ein oder mehrere Diskussionstage organisiert werden, zu welchen circa 500 Esten – Vertreter der verschiedenen sozialen Kategorien – eingeladen werden dürften. Das Ergebnis dieser Debatten kommt dann auf die Tagesordnung der estnischen Regierung.

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Angesichts dieser Initiative hegt Eesti Päevaleht seine Zweifel:

Viele Menschen sind dieser neuen Institution gegenüber skeptisch eingestellt. In der Vergangenheit hatten mehrere Versuche, eine ständige Verbindung zwischen den Bürgern und der politischen Macht herzustellen, nicht funktioniert, wie etwa 2001 die Initiative TOM [Täna otsustan mina, „heute entscheide ich“].

Doch, so die Tageszeitung —

... anders als TOM, das seither durch Osale.ee („Mach mit“) ersetzt wurde, konzentriert sich die Bürgerversammlung auf ein einziges Thema und verleiht somit die Hoffnung, dass sie nicht nur ein Ort zum Abreagieren ist.

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