Abschiebung der Roma

Europäisches zweierlei Maß

Veröffentlicht am 6 September 2010 um 13:40

Frankreichs Roma-Abschiebepolitik trifft bei den beiden Hauptinteressierten, Rumänien und Bulgarien, auf ganz unterschiedliche Reaktionen. In Bukarest weist Adevărul darauf hin, dass "die Westeuropäer uns bis vor kurzem noch beibringen wollten, wie wir mit Zigeunern umzugehen haben. Ob es dabei nun um die Wortwahl ging (Roma oder Zigeuner), oder die Gesetze." Als sie nach 2003 jedoch "selbst überrannt wurden, drehte sich der Wind wie in einem Gossenroman. Von da an wurden ganz andere Reden geschwungen und harte Entscheidungen getroffen, die Bukarest, Bratislava, Budapest, Sofia, Zagreb oder Belgrad nie gewagt hätten. Ist das nicht die pure Heuchelei? Da hat der Westen uns aber eine ordentliche Lektion erteilt!"

Evenimentul Zilei ist der Überzeugung, dass "die Zugehörigkeit zur Roma-Minderheit kein Grund dafür sein kann, ausgewiesen zu werden". Unterdessen meint Adevărul, dass "das sich das rassistische Verhalten in Europa mit dem französischen Beispiel zugespitzt hat". Das Blatt erinnert daran, dass "die Kommunisten versucht haben, die Roma zu kontrollieren, indem sie ihnen Wohnungen bauten. Jedoch schliefen diese lieber unter freiem Himmel und ließen ihre Pferde in den Behausungen wohnen. Nun wollen die Franzosen sie in Häuser zurückschicken, die sie gar nicht mehr haben. Schließlich sind sie Nomaden. Und genau darin liegt die gewaltige Provokation Frankreichs und ganz Europas: Das in einer modernen Welt nach Gesetzen der Vergangenheit lebende Volk soll seinen Lebens- und Denkstil ändern. Das rationale Frankreich könnte wohl eine bessere Lösung finden."

In Bulgarien versuchen die Behörden seit Ende Juli "die Dinge in ein Verhältnis zu bringen" oder auch, das Ausmaß der Ausweisungen zu "minimieren", so meinen einige Beobachter. Dabei hilft ihnen, dass es fast keine öffentlichen Stellungnahmen von Roma-Vertretern des Landes gibt. Die Oppositions-Zeitung Sega zitiert die Erklärung von Regierungschef Bojko Borissow: "Jeder einzelne von ihnen ist individuell dafür verantwortlich, was ihm geschieht. Massive Abschiebungen gibt es nicht". InDnevnik versichert Außenminister Nikolaj Mladenow, dass der Streit zuerst einmal "eine innere Angelegenheit Frankreichs" ist.

Dagegen ist der Großteil der bulgarischen Medien überzeugt, dass die Sache ganz Europa angeht. Nur herrscht dazu im westlichen Teil des Kontinentes eine andere Meinung als im Osten. Die volksnahen Blätter wie Trud und 24 Tchassa wundern sich über das "Verständnis", mit dem die Europäische Kommission Frankreichs Entscheidungen begegnet. Zudem fragen sie sich, ob Brüssel ebenso milde geurteilt hätte, wenn Sofia die Roma derart angegriffen hätte. "Wenn Europa bedeutet, mit zweierlei Maß zu messen, dann interessiert uns das nicht. Frankreich – Nein Danke", schreibt der Leitartikler der Trud. Indes wirft der Kolumnist der Sega, Svetoslav Terziev, Frankreich vor, "die größte öffentliche Deportation seit Ende des Zweiten Weltkrieges zu organisieren". "Liebes Frankreich" schreibt Boïko Lambovski in Sega. "Wir, die wir uns ganz am Ende der EU befinden, haben von Dir – Lokomotive Europas und Heimatland der Menschenrechte – erwartet, dass Du uns ein Beispiel von Menschlichkeit und Integration bist. Und nun machst Du das ganze Gegenteil." (jh)

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