Mehr als Krise: Europa ist defekt

Veröffentlicht am 25 April 2013 um 13:21

Die vierte Ausgabe von Europa, einer gemeinsamen Beilage von Gazeta Wyborcza, The Guardian, Le Monde, El País, La Stampa und der Süddeutschen Zeitung widmet sich der Europa-Skepsis in der Europäischen Union. Nach Angaben des jüngsten Eurobarometers erreicht das Misstrauen der Bürger ein Rekordhoch. Eine Europaskepsis, schreibt die Pariser Tageszeitung,

die sich in vielfacher Form in ganz Europa ausbreitet: Populismus, Nationalismus, Misstrauen, Verbitterung, Empörung. Lange Zeit war die Europaskepsis das Privileg Großbritanniens. Heute ist sie der Grund für die Unruhen in Griechenland, für das politische Chaos in Italien, der französischen Enttäuschung und der deutschen Verdrossenheit. Europa zieht von allen Seiten— zumindest für den Moment — den Unmut auf sich.

Ein Gefühl, welches vom Chefredakteur von La Stampa, Mario Calabresi, geteilt wird. Er schreibt:

Wir sind im Stillstand, ohne eine starke Idee, die Hoffnung machen könnte. Und vor allem, gespalten wie nie. […] Die Krise der europäischen Integration, die Selbstbezogenheit unserer Gesellschaften, sowie das Versagen unseres sozialen Modells haben die alten Egoismen und Verbitterungen wieder aufflammen lassen. Die alleinige Religion der Sparpolitik hat nicht die Köpfe begeistert, sondern die Herzen erkalten lassen und die Völker voneinander getrennt.

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Ein Grund der Verdrossenheit, meinen in El País die beiden Politologen Mark Leonard José Ignacio Torreblanca läge vor allem in einer Tatsache:

Mit dem Fiskalpakt und den großangelegten Reformen, die von der Europäischen Zentralbank gefordert wurden, haben die Eurokraten zahlreiche rote Linien hinsichtlich der nationalen Souveränität überschritten. Ihr Einfluss reicht nun weit über Normen der Lebensmittelsicherheit hinaus. Sie kontrollieren heute die Renten, Steuern, Löhne, den Arbeitsmarkt sowie die Anzahl der Angestellten im öffentlichen Dienst. Doch sind diese Bereiche das Herzstück des Wohlfahrtsstaats und der nationalen Identität.
[…] Mit dem heutigen Szenario folgt zwar eine Regierung der anderen, doch die Politik bleibt grundsätzlich dieselbe und kann nicht infrage gestellt werden.

Wird dieser Trend die Union in den Abgrund treiben? „Es ist zu hoffen, dass mit der Rückkehr des Wachstums der Euroskeptizismus abflauen wird“, schreiben Leonard und Torreblanca, denken aber dennoch, dass

die Begeisterung [für die EU] nicht wieder auferstehen kann, wenn sie nicht radikal ihren Umgang mit den Mitgliedstaaten und den Bürgern überdenkt.

Dieser „Schock der Demokratien“, diese Opposition von Nord und Süd, verkörpere ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“, von dem man in der Vergangenheit in den Bereichen Verteidigung, Außenpolitik oder Freizügigkeit sprach, notiert die stellvertretende Chefredakteurin der spanischen Tageszeitung, Berna González-Harbour. Es sei

eine tragische Tatsache, dass man nicht in der Lage ist, die friedliche Form von zwei Parallelen anzunehmen, die sich zwar nie berühren, aber auch nicht in die Quere kommen. Die Richtungen sind verschieden, doch beide gehen voran, und sei es in Unstimmigkeit.

In der Zwischenzeit machen die sechs Titel einige Vorschläge, um die EU aus der Sackgasse zu manövrieren, die der Guardian zusammenfasst. Sie reichen von der Abschaffung der beiden Standorte für das EU-Parlament, über die Schaffung einer gemeinsamen Armee, bis zur Einführung einer „Eur-App“ für Tablets und Smartphones, denn Europa brauche „eine Leitidee, welche den Europäern mit Symbolen vermittelt wird, mit dem Ziel, ihnen Emotionen, Zusammenhalt und Solidarität zu vermitteln.“(JS)

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