Ausgeschaltet: Griechenland stellt Staatsrundfunk ab

Veröffentlicht am 12 Juni 2013 um 14:16

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Für die griechische Tageszeitung Eleftherotypia ist die von der Regierung am 11. Juni angekündigte fristlose Schließung des staatlichen Fernsehens und Hörfunks nicht mehr und nicht weniger als ein „Todesstoß”. Um 23 Uhr wurden die Griechen vom Abschiedsvideo der Journalisten überrascht. Es sei „ein beispielloser Akt — nicht nur für Griechenland — wie die Regierung von heute auf morgen den öffentlichen Rundfunk abgeschaltet hat“ schreibt das Blatt.

Bei Bekanntwerden der Entscheidung versammelten sich aus Protest mehrere Tausend Menschen vor dem Gebäude des staatlichen Senders ERT. Aus Solidarität stellten auch die Privatsender ein paar Stunden lang ihre Sendungen ein.

Nach Angaben von Eleftherotypia,

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hatte das Kabinett des Ministerpräsidenten diese Entscheidung schon seit längerem im Hinterkopf. Man hofft, dass mit der Schließung dieser öffentlich-rechtlichen Anstalt die Frage der von der Troika geforderten Streichung von 2000 Stellen im öffentlichen Dienst geregelt sei. Allein deshalb hat man die 2656 Angestellten auf die Straße gesetzt.

Für die Athener Tageszeitung stellt die hastige Entscheidung

ein enormes demokratisches Problem dar. Der Pluralismus der Berichterstattung wird zerstört. Das griechische Volk hat ein Recht auf einen offenen, unparteiischen und qualitativ wertvollen öffentlichen Rundfunk.

„Vieles stimmte nicht bei der ERT“, meint hingegen I Kathimerini:

Lang Zeit wurde die Rundfunkanstalt von den aufeinanderfolgenden Regierungen wie die meisten öffentlichen Unternehmen behandelt. Man meinte, es müsse eine bestimmte Klientel gehätschelt werden und man verschwendete Geld. Allein schon die 19 regionalen Radiosender beweisen die unerträgliche Misswirtschaft. […] Doch gab es auch genügend Gründe, die für die ERT sprechen: Die Rundfunkanstalt produzierte erstklassige Fernsehdokumentationen, wie niemand sonst in Griechenland. Die Radiosender spielten Musik, die nirgendwo sonst gesendet wurde.

Die Wirtschaftszeitung kritisiert hingegen die Vorgehensweise:

Es gab weder eine parlamentarische noch eine öffentliche Debatte. Kein grünes Licht der Koalition aus Neue Demokratie, Sozialisten und Demokratischer Linke. Stattdessen wurde ein Dekret erlassen. […] Und der Regierungssprecher konnte im Fernsehen erklären, die ERT sei ein Fass ohne Boden, welches 300 Millionen Euro pro Jahr verpulvere und das anstelle von hochwertigen Programmen nur Misswirtschaft und Ineffizienz produziere. […] Die ERT ist einer der zahlreichen Skandale, welche die Parteien nur zu gerne unter den Teppich kehren würden. Und welch bessere Gelegenheit, diese Anstalt zu schließen, als genau in dem Moment, da die Troika im Lande weilt und fragt, was aus dem Versprechen der Streichung von 2000 Stellen [...] im öffentlichen Dienst geworden ist?

Die Regierung versichert, dass die Schließung nur vorübergehend sei. Man wolle „so schnell wie möglich eine neue Struktur schaffen“. Eleftherotypia glaubt zu wissen, dass ein Gesetzentwurf zur Gründung einer NERIT AE („Neuer Griechischer Rundfunk, Internet und Fernsehen“), mit „weit weniger Angestellten“ bereits in der Schublade läge. Die wichtigsten Gewerkschaften des Landes haben aus Protest gegen die Schließung der ERT für Donnerstag zum 24-stündigen Generalstreik aufgerufen.

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